Initiative für Wertkritik
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Zur Gegenstandsbeschreibung dieser Initiative ein Ausschnitt aus Was ist Wertkritik von Robert Kurz:

Was der Wert ist, weiss die Linke aus tausend "Kapital"-Schulungskursen und weiss es doch nicht. Es kann gerade heute nicht schaden, einige Grundbegriffe in Erinnerung zu rufen, um überhaupt die neue Lesart der Wertkritik verständlich zu machen. Dabei ist es notwendig, auf die logischen Grundlagen der Warenform zurückzugehen. Dadurch, dass die Mitglieder eines warenproduzierenden Systems nur indirekt (über den Markt) vergesellschaftet sind, stehen sie auch nicht durch die bewusste Verständigung über den Einsatz ihrer gemeinsamen Ressourcen in Verbindung, sondern nur durch die isolierte Verausgabung von Quanta menschlicher Arbeitskraft, die gesellschaftlich als "geronnene Arbeit" (Wert) an den Produkten halluziniert werden und diese zu Waren machen. Indem die fiktional festgehaltene Menge vergangener "Arbeit" diese Waren in ein bestimmtes Größenverhältnis setzt, erscheinen sie als Tauschwerte, nach deren Maßgabe erst nachträglich auf dem Markt ihre gesellschaftliche Vermittlung stattfindet.

Um die qualitativ verschiedenen Waren gleichnamig zu machen, muss von der konkreten Qualität ihrer Produktion abstrahiert werden; in ihrem gesellschaftlichen Bezug handelt es sich nur noch um die abstrakte Verausgabung menschlicher Energie. Der Wert bestimmt sich dabei nach der Leistung, d.h. nach der verausgabten Arbeitsmenge pro Zeiteinheit auf der Höhe des gegebenen Produktivitätsstandards. Die allgemeine gesellschaftliche Erscheinungsform des Werts ist das Geld: die ausgesonderte allgemeine Ware, die als universelles Tauschmittel dient und in deren Form alle Werte als Preise ausgedrückt werden. Die indirekten gesellschaftlichen Verhältnisse der Personen erscheinen also paradoxerweise als Eigenschaften der produzierten Sachen und in letzter Instanz als die abstrakte Allgemeinheit des Geldes. Das ist es, was Marx den Fetisch-Charakter der Warenform nennt. Bis zu diesem Punkt hat der linke "Kapital"-Schulungskurs das absurde, fetischistische Verhältnis noch irgendwie kritisch (scheinbar) verstanden, ohne jedoch die Konsequenzen zu ziehen und nur, um jeden Ansatz der implizierten Kritik am Wesen dieses Fetischismus sofort wieder zu vergessen oder ins "philosophische" Nebelreich abzuschieben. Denn dabei handelt es sich ja angeblich bloß um die "einfache" Warenform, während es doch um die Kritik des Kapitalismus geht! In welcher Beziehung stehen Warenproduktion und Kapitalverhältnis? Als Verhältnis zwischen unabhängigen Produzenten, in dem das Geld eine bloße Vermittlungsinstanz darstellt, kann die Warenproduktion gar nicht zu einem flächendeckenden gesellschaftlichen System werden und ist deshalb in vormodernen "naturalwirtschaftlichen" Gesellschaften auch bloße Nischenform geblieben. Erst das Kapital als Produktionsverhältnis verallgemeinert und totalisiert die Warenproduktion, und zwar dadurch, dass der Wert (und damit seine allgemeine Erscheinungsform Geld) auf sich selbst rückgekoppelt und so aus einem Medium zu einem Selbstzweck (Mehrwert) wird.

Es entsteht also eine gesellschaftliche Maschine, ein kybernetisches System der Verwertung des Werts oder ein "automatisches Subjekt" (Marx), in dem es keine unabhängigen Produzenten mehr gibt, sondern nur noch verschiedene soziale Funktionskategorien des systemisch geschlossenen Verwertungsprozesses, der unaufhörlich und auf stetig erweiterter Stufenleiter abstrakte menschliche Energie ("Arbeit") in Geld verwandelt. Der Markt ist demzufolge kein Ort der Vermittlung zwischen unabhängigen Produzenten mehr, sondern Ort der "Realisation" des gesellschaftlichen Mehrwerts und somit der fetischistischen Selbstvermittlung der abstrakten "Arbeit", die ihre Rückverwandlung in die Geldform durchlaufen muss. Zusammenfassend kann gesagt werden, dass die Begriffe Kapitalismus (Kapitalverhältnis oder kapitalistische Produktionsweise), Wertvergesellschaftung, warenproduzierendes System, Marktwirtschaft, Arbeitsgesellschaft und Leistungsgesellschaft nur verschiedene Aspekte ein- und derselben Fetisch-Konstitution der modernen Gesellschaftsform bezeichnen.

Die logische Konsequenz für die radikale Kritik dieses gesellschaftlichen Verhältnisses wäre es also, alle diese Aspekte gleichermaßen und insofern natürlich gerade die Zentralkategorie des Werts anzugreifen und aufzuheben, um an die Stelle der Stufenleiter von "Arbeits"-, Waren-, Geld-, Kapital- und Lohnfetisch die bewusste Selbstverständigung der Gesellschaft über die gemeinschaftliche Nutzung ihrer (nunmehr hochgradig vernetzten, von direkt gesellschaftlichen Apparaten abhängigen) Ressourcen jenseits von Ware-Geld-Beziehungen zu setzen. Wenn der Begriff der Wertkritik in den Ohren der gewöhnlichen Feld-, Wald- und Wiesen-Linken trotzdem völlig fremdartig klingt, so deshalb, weil sie die grundsätzliche Fetischismuskritik gleich wieder vergessen und ihre vermeintliche Kritik der politischen Ökonomie den Boden der Wertform nie verlassen hat.

Der Arbeiterbewegungs-Marxismus in seiner Epoche von 1848 bis 1989 bezog sich stets nur auf eine verkürzte, soziologistisch beschränkte Kritik der "Aneignung des Mehrwerts" durch die "Kapitalisten", ohne den fetischistischen Systemcharakter der Wertvergesellschaftung selber anzutasten. Die Kategorie des Werts und der darauf beruhenden politischen Ökonomie wurde nicht negativ, sondern positiv verstanden, um die Aneignung "unbezahlter Arbeit" zu beseitigen und sich selber des vollen Werts als eines vermeintlich neutralen Gegenstands zu bemächtigen. Die abstrakte "Arbeit" erschien demzufolge auch nicht als historische Realkategorie des Kapitalismus, sondern als ontologische ewige Menschheitsbedingung; Wert, Ware, Geld und Markt wurden nicht als aufzuhebende gesellschaftliche Formen des Kapitalverhältnisses begriffen, sondern als positive Gegenstände der Moderne, die nur alternativ zu besetzen wären, und zwar durch den "Klassenkampf" der "Arbeiterklasse".

Aus der Sicht der Wertkritik ist dies die Paradoxie einer Kapitalismuskritik auf dem Boden und in den unbegriffenen Formen des Kapitalismus selbst. Der Grund für dieses verkürzte, wertimmanente Verständnis liegt im historischen Charakter der Arbeiterbewegung, die noch der Aufstiegs- und Durchsetzungsgeschichte des modernen warenproduzierenden Systems (alias Kapitalismus) angehörte. Nachdem die Sozialrevolten vom 16. bis zum frühen 19. Jahrhundert blutig niedergeschlagen worden waren, deren Träger sich dagegen wehrten, zur "Arbeiterklasse" unter dem Diktat der Verwertung des Werts gemacht zu werden, hatte das Kapitalverhältnis spätestens Mitte des 19. Jahrhunderts einen irreversiblen Grad der Objektivierung erreicht. Erst an diesem Punkt setzte die sogenannte Arbeiterbewegung ein, die ihre Emanzipationsvorstellungen nur noch in den kapitalistischen Kategorien denken konnte und dadurch ironischerweise selber zum Motor der Wertvergesellschaftung wurde (gegen die jeweils bornierten offiziellen Repräsentanten des Kapitals auf einem bestimmten Entwicklungsgrad).

Koalitionsfreiheit, Verkürzung des Arbeitstags, Anhebung des Lohnniveaus, Verbesserung der Arbeitsbedingungen, soziale und ökonomische Staatsintervention usw. waren wesentliche systemimmanente Errungenschaften des Arbeiterbewegungs-Marxismus, die gleichzeitig Bedingungen für die flächendeckende "Inwertsetzung" der Welt durch kapitalistische Massenproduktion wurden und an die Absorptionsfähigkeit immer größerer Mengen von abstrakter "Arbeit" gebunden blieben. Im planetarischen Osten und Süden führten dabei der Marxismus und seine Derivate in Gestalt der staatssozialistischen Systeme "nachholender Modernisierung" sogar direkt Regie.

Die dritte industrielle Revolution der Mikroelektronik, der Zusammenbruch der "nachholenden Modernisierung" und die Weltkrise der abstrakten "Arbeit" markieren am Ende des 20. Jahrhunderts eine neue Situation, in der die objektivierten Realkategorien des warenproduzierenden Systems an eine absolute historische Grenze stossen und sich ihre Dynamik erschöpft. Wollten die alten Sozialbewegungen auf dem vormodernen Niveau nicht in das System der abstrakten "Arbeit" hineingezwungen werden, so kommt es jetzt darauf an, auf dem modernen Niveau aus diesem System wieder herauszukommen.

Das ist jedoch mit den Mitteln der bisherigen wertimmanenten Kapitalismuskritik nicht möglich, sondern erfordert einen schmerzhaften Bruch mit einer linken "Identität", von der die Wertform und alle wesentlichen bürgerlichen Gesellschafts-Kategorien blind als apriorische Voraussetzungen genommen wurden, sodass deren jetzt anstehende radikale Kritik und "Aufhebung" zwangsläufig Unverständnis, Abwehr und Frust hervorrufen. Denn damit ist das gesamte, mehr als hundertjährige Theorie-"Kapital" des Arbeiterbewegungs-Marxismus auf einen Schlag "entwertet".

Im Bezug auf die Marxsche Theorie stellt die Wertkritik gleichzeitig eine radikale Abkehr und eine konsequente Fortsetzung bzw. Weiterentwicklung dar. Denn bei Marx finden sich (gewissermaßen ineinander verschlungen) beide Argumentationsstränge: der wertimmanente, arbeitsontologische und modernisierungs-theoretische "Klassenstandpunkt" einerseits ebenso wie die radikale Wert- und Arbeitskritik als Kritik des modernen gesellschaftlichen Fetischismus andererseits. In diesem Sinne sprechen wir vom "doppelten Marx". Heute müssen diese beiden Momente voneinander gelöst werden. Während sich Arbeiterbewegung und bisherige Linke auf den systemimmanenten, warenförmig konditionierten Interessenstandpunkt gestellt und den "anderen" Marx der Wert- und Fetischkritik konsequent ausgeblendet (oder bis zur Unkenntlichkeit verharmlost) haben, ist jetzt umgekehrt gerade dieses Moment der Marxschen Theorie aus seinem Dornröschenschlaf zu erwecken, während das verkürzte klassen-soziologistische Moment verfällt.

Das heißt nicht, dass der wertimmanente Interessenkampf einfach preisgegeben wird; aber der emphatische Bezug auf den vermeintlich transzendierenden Charakter des "Klassenkampfs" ist unwiederbringlich dahin. Das fetischistisch konstituierte immanente Interesse kann nicht linear zur Wertkritik verlängert werden (im Unterschied zum Begriff eines warenproduzierenden, d.h. wertförmigen Sozialismus), sondern dazwischen liegt ein radikaler Bruch mit der bürgerlichen Interessenform selbst, der zu formulieren und praktisch zu machen ist.

Wenn die positive, scheinontologische Besetzung der "Arbeit" hinfällig wird, gibt es keinen objektiven Hebel und kein apriorisches, metaphysisches Subjekt der Emanzipation mehr: Die Verkäufer der Ware Arbeitskraft sind "an sich" nichts als Funktionsträger des warenproduzierenden Systems, Charaktermasken des variablen Kapitals. Die emanzipatorische Bewusstwerdung besteht nicht darin, dass eine kapitalistisch objektivierte soziale "Klasse" zu einem Subjekt "für sich" wird und eine ebenso objektivierte "historische Mission" exekutiert, sondern darin, dass Menschen gerade in Distanz zu ihrem system-konstituierten sozialen Ort die kapitalistische Zumutung durchschauen und sich dagegen positionieren, ohne eine positive und willens-unabhängige Kraft der Geschichte im Rücken zu haben. Sie ist also nicht positiv, sondern wesentlich negatorisch; nicht von "positiven Eigenschaften" des Systems und seiner diversen Funktions- bzw. Sozialkategorien vorab determiniert, sondern negativ hervorgerufen durch die Widersprüche, Brüche, Unlebbarkeiten und unerträglichen Zumutungen eines Kapitalismus, der jetzt keinen Entwicklungshorizont mehr vor sich hat.

Die enorme theoretische und praktische Sprengkraft, die der historisch unabgegoltene Teil des Marxschen Werkes gewinnt, schließt insofern die Kritik und Überwindung der Logik eines apriorischen, schon feststehenden sozialen Trägers der Emanzipation überhaupt ein, die von der "neuen Linken" über den klassischen Arbeiterbewegungs-Marxismus hinaus mit allerlei Surrogaten immer wieder neu besetzt wurde: von den "nationalen Befreiungsbewegungen" der 3. Welt über die sogenannten Randgruppen, die Frauen, die Geisteskranken bis zu den Schwulen und Lesben oder neuerdings einer Art Medien- und Kulturarbeiterklasse. Diese unaufgehobene Grundlogik machte sich übrigens selbst noch bei jenen bemerkbar, die an diesem Spiel verzweifelten, um dann aus der Tatsache, dass weit und breit kein apriorisches, objektiv-soziologisch konstituiertes "revolutionäres Subjekt" auszumachen ist, die Unmöglichkeit einer radikalen Veränderung der Gesellschaft überhaupt abzuleiten (wir denken hier insbesondere an Adepten der Kritischen Theorie). Was also historisch ansteht, ist die Selbst-Konstitution einer bewussten Aufhebungsbewegung gegen das warenproduzierende System, die keine positive ontologische Bestimmung, sondern nur noch die Krise des modernen Fetisch-Systems im Rücken hat. Ihre Aufgabe ist es, die verinnerlichte, scheinbar selbstverständliche gesellschaftlichte Form des Werts zu knacken. Jede Gesellschaftskritik, die dieses Problem nicht explizit stellt und zu konkretisieren versucht, kann man/frau ab sofort vergessen.