Thema: KurzgeschichteNeuer Beitrag
Von: Prienchen KDP Konservative Deutsche Partei 10.02.2021 08:08 Uhr
Seit 25 Jahren kaufte Atze P. seine Tageszeitung am Kiosk. Immer die gleiche Tageszeitung. Der Verkäufer war auch immer derselbe. Älterer Herr, ordentlich gekleidet und offenbar nie krank. Bei Wind und Wetter, Regen, Schnee oder Sonne - der Mann saß immer in einem Kiosk und verkaufte Atze P. die Tageszeitung.
Auch wenn sie sich seit 25 Jahren täglich sahen, viel Konversation hatten sie nie betrieben.
"Das Tageblatt bitte."
"1 Euro bitte"
"Vielen Dank und schönen Tag auch."
"Danke, für Sie ebenfalls."
Das war es im Prinzip. Tagein, tagaus. Der Kiosk gehörte einfach zu Atzes Leben dazu. So wie der Morgenkaffee und das Küßchen für die Frau. Aber seit heute morgen war alles anders.
"Ich schließe im kommenden Monat.", sagte der Kioskverkäufer, als Atze nach seiner Zeitung gefragt hatte.
"Sie müssen sich einen neuen Zeitungshändler suchen."
Atze war überrascht.
"Aber warum das denn?", fragte er konsterniert.
"Ich gehe in Rente. Hab ich mir verdient, wissen Sie. Und so richtig lief das Geschäft ja auch schon seit Jahren nicht mehr. Heutzutage wird alles im Internet gekauft. Auch die Nachrichten."
Gut, das wußte Atze auch. Er gehörte zu den Wenigen, die in der U-Bahn noch die Zeitung lasen, während alle anderen auf ihre Mobiltelefone oder sonstigen elektronischen Spielzeuge starrten. Manchmal amüsierten ihn die irritierten Blicke der übrigen Fahrgäste, die ihn anschauten als käme er von einem anderen Planeten.
"Was macht der Mann da?", hatte einmal ein kleines Mädchen seine Mutter gefragt, während diese hektisch auf ihrem Mobiltelefon herumwischte.
Die Mutter hatte kurz aufgeblickt, mit den Augen gerollt und ihre Tochter keiner Antwort gewürdigt. Atze hatte kurz überlegt, ob er der Kleinen antworten solle aber diese hatte das Interesse schon wieder verloren und quengelte. Sie wollte auch ein Mobiletelefon haben und bunte, bewegte Bilder ansehen. Graues Papier mit zuviel Text - das war nichts für kleine Mädchen. Atze P. sah es ein. Er gehörte zum alten Eisen. Er war Teil einer aussterbenden Spezies. Geradezu rückständig. Nicht das er etwas gegen Computer gehabt hätte. Nein, im Gegenteil, er saß auf seiner Arbeitsstelle täglich mehrere Stunden am PC und arbeitete an der Datenbank. Aber er genoß es eben auch, die Zeitung studieren zu können. Seine Augen tränten nicht so sehr beim Zeitungslesen, er genoß das Rascheln des Papiers, den feinen Geruch der Druckerschwärze und den Leitartikel des Chefredakteurs. Die Zeitung gehörte einfach dazu. Und nun war das zu Ende. Natürlich hätte er seine Zeitung auch woanders kaufen können. Sie sogar via Internet abbonieren können. Er hätte sie auf dem Mobiltelefon lesen können, ohne Rascheln, ohne Geruch und ohne in der U-Bahn aufzufallen.
Aber eines Tages wird dieses kleine Mädchen seinen Enkeln sagen können:
"Stellt euch vor, in meiner Kindheit hat es noch Leute gegeben, die eine richtige Zeitung aus Papier gelesen haben. In der U-Bahn."
Und die Kinder würden fragen:
"Omi, was ist eine Zeitung?"
Und dann würde Oma mit ihren Enkeln ins Museum gehen. In das virtuelle Museum natürlich. Ohne von der Couch aufzustehen.
Atze war unversehens in Gedanken geraten.
"Das ist schade, dass Sie schließen. Hoffentlich haben Sie schon etwas vor für Ihre Rentenzeit. Nicht, dass Sie in ein tiefes Loch fallen und auf der Couch versauern."
"Nein, nein.", lachte der Kioskverkäufer. "Machen Sie sich da mal keine Gedanken. Es gibt noch soviel zu tun für mich."
"Dann wünsche ich Ihnen alles Gute für die Zukunft."
"Vielen Dank. Ihnen auch."
Atze P. breitete seine Zeitung in der U-Bahn aus und freute sich insgeheim über das leicht genervt wirkende Wegrutschen seines Banknachbarn.
"Laß mal,", dachte er bei sich. "Eines Tages wirst auch du merken, dass man sich mit einem Mobiltelefon nicht den Arsch abwischen kann. Mit einer Zeitung zur Not schon."
Als er bei diesem Gedanken in Lachen ausbrach und die verwirrten Blicke der übrigen Fahrgäste sah, mußte er noch lauter Lachen.