Thema: [RL] 25 Jahre "Mauerfall"Neuer Beitrag
Von: Nuit Le Petit Prince 14.06.2015 20:00 Uhr
08.11.2014

25 Jahre "Mauerfall"

"Die Berliner Mauer fiel in der Nacht von Donnerstag, dem 9. November, auf Freitag, den 10. November 1989, nach über 28 Jahren ihrer Existenz. Die Vorbereitungen einer von Seiten der DDR-Regierung kontrollierten Öffnung der Mauer begannen bereits im Oktober 1989." So formuliert Wikipedia das, was vor 25 Jahren geschah. Besonders interessant daran erscheint dem Autor dieser Zeilen nach 25 Jahren, wie viele fehlerhafte Formulierungen im Zusammenhang mit diesen Geschehnissen verbunden werden und sich in unserem Sprachgebrauch etabliert haben.

Beginnen wir mit dem Begriff "Mauerfall". Der Begriff impliziert, dass die Mauer durch Pfusch oder auf wundersame Art und Weise umgefallen sei. Diesen Begriff als solchen zu betrachten wirkt wie eine Satire. Ist es jedoch nicht. Denn bei der Betrachtung der damaligen Geschehnisse erscheint es verwunderlich, dass die Akteure, die diese Geschehnisse ermöglicht haben, in der Formulierung nicht benannt werden. Und so sehr es manche auch seinerzeit als ein "Wunder" ansahen, dass der scheinbar unüberwindliche Systemwiderspruch ein Ende fand und das Ende des kalten Krieges einläutete, so bleibt doch festzustellen, dass es hier nicht um ein Wunder ging, das "vom Himmel fiel", sondern um etwas, das von Menschen angestoßen wurde. Einerseits natürlich von den Teilen der Bevölkerung, die in der damaligen Deutschen Demokratischen Republik auf die Straßen gingen, um zu demonstrieren. Andererseits durch die Regierenden der Deutschen Demokratischen Republik, die darauf zu reagieren versuchten. Und letztlich auch durch die damals Regierenden in der Bundesrepublik Deutschland, die ebenfalls auf diese Geschehnisse zu reagieren versuchten.

Richten wir den Blick auf die Umstände, in denen die Menschen damals in beiden Teilen Deutschlands lebten. Zwei deutsche Staaten waren sich darüber uneinig, welcher "das bessere Deutschland" sei. Zwei deutsche Staaten waren dabei aber nicht unabhängig, sondern mussten unter anderem große Aufmerksamkeit auf die Interessen der "Siegermächte" Großbritannien, Frankreich, USA und UdSSR richten. Zeitgleich befanden sich beide deutschen Staaten im Brennpunkt der System- und Militärkonfrontation der West- bzw. Ostmächte, die sich wechselseitig bedrohten, um einen befürchteten Angriffskrieg des jeweils anderen Machtblocks durch atomare Bedrohung abzuwenden.

Daraus ergaben sich Lebensumstände, in denen die Bevölkerungen einerseits auf Werte wie Gesundheitsversorgung, Bildung, finanzielle Absicherung usw. vertrauen konnten. Es schien für immer gesichert, dass sich die jeweilige Regierung um diese Belange kümmern und diese Bedürfnisse für jeden Bürger sicherstellen würde können. Andererseits ergab sich ein Bedrohungsszenario, in dem die meisten Menschen davon ausgingen, dass sie eines Tages innerhalb kürzester Zeit in einem Atomkrieg sterben könnten. Beides, Versorgung und Atomkrieg, schien der damaligen Bevölkerung sicher und unumstößlich. Diese Sicherheit wurde mit dem "Mauerfall" und der sich daraus ergebenden "Wiedervereinigung" relativiert. Plötzlich schien alles offen, aber auch unsicher.

Damit stehen wir auch schon vor der zweiten fehlerhaften Formulierung. Denn der Begriff "Wiedervereinigung" ist gleich in mehrfacher Hinsicht unrichtig. Hiermit ist sicherlich gemeint, dass die Lebensumstände im westlichen Teil unseres Landes und im östlichen Teil unseres Landes unterschiedlich sind, was die Vorstellung eines einheitlichen Landes relativiert. Es ist hiermit jedoch ebenfalls gemeint, dass das, was zu einem Land wurde, nicht das ist, was zunächst getrennt wurde. Es kam nicht zu einer Wiedererstehung des Deutschen Reiches (weder in seiner Verfasstheit, noch in seinen Grenzen, noch in seiner Länderaufteilung, noch in seiner Souveränität); es kam auch nicht zu einer Wiedererstehung der vier Besatzungszonen, die mit der Gründung der beiden deutschen Staaten getrennt wurden. Es kam jedoch ebenfalls nicht zu einer juristischen Fusion beider deutscher Staaten, sondern zu einem Aufgehen der Deutschen Demokratischen Republik in das Staatsgebiet der Bundesrepublik Deutschland. Dass Letztere hiermit ebenfalls ihr Dasein in der vorherigen Verfasstheit verlor, geht scheinbar dem Bewusstsein oft verloren. Dies betrifft sicherlich die beiden oben angesprochenen Sicherheiten: Nämlich die der unumstößlichen Absicherung durch die Regierung und die der ständigen Todesgefahr.

Dass manche Perspektiventwicklung im Rahmen dieses Textes unberücksichtigt bleibt, liegt auf der Hand. Ebenso liegt jedoch auf der Hand, dass das Nachdenken über die Begriffe, die wir den damaligen Geschehnissen zuordnen, keine reine Beschäftigung für Germanisten ist.

Reim-und-Klang
Für die LPP