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Fragenübersicht Ist das nicht irgendwie seltsam und beängstigend wie schnell sowohl Opfer als auch Täter des Holocaust von der stinknormalen bürgerlichen Gesellschaft aufgesaugt wurden, so als ob überhaupt nichts passiert gewesen wäre?
1 - 20 / 23 Meinungen+20Ende
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01.05.2021 21:32 Uhr
EwaldB hat diese Umfrage mit der Begründung abgelehnt, der Hintergrund sei nicht OK.

Nicht verwunderlich bei ihm.

Diese Meinung wurde zuletzt geändert am 01.05.2021 21:33 Uhr. Frühere Versionen ansehen
01.05.2021 21:35 Uhr
EwaldB hat diese Umfrage mit der Begründung abgelehnt, der Hintergrund sei nicht OK.

Nicht verwunderlich bei ihm.

01.05.2021 21:36 Uhr
Ich würde das so wie im Hintergrund dargestellt nicht gelten lassen.

Direkt nach dem Krieg und auch noch in den Folgejahren gab es durchaus ein Interesse der Justiz in Deutschland und Österreich und auch seitens der alliierten Justiz dies zu verfolgen.

Es gab sehr und rasch Prozesse z.b in Österreich wegen der Endzeitverbrechen auf den Todesmärschen und in den Lagern und Gefängnissen.

1946 und einige Zeit danach wurde auch noch an Polen und die Sowjetunion überstellt. Mir fallen hier aus österreichischer Sicht Maximilian Grabner und Murer ein.

Graber wurde in Polen gehängt und auch von der österreichischen Staatspolizei verhaftet und dann überstellt.

Murer wurde in die Sowjetunion überstellt, kam aber 1955 mit dem Kriegsgefangenen und sonstigen Häftlingen zurück und kam wieder frei.

In den Jahren danach stieg das Desinteresse, das war wohl von allen Linien gleichermaßen verfolgt.

Die Siegermächte in Ost und West zeigten im Rahmen des kalten Krieges kein Interesse. Die eine Seite wollte wohl keine Urteilte, da man die Deutschen schon wieder als Verbündete sah und in der DDR durfte es keine Nazis mehr geben, weil die doch alle im Westen war.

Zudem wollte man wohl auch das Kapitel zuschütten. Diese Phase griff eben erst später.

Nach dem Eichmannprozess gab es sehr wohl wieder Prozesse in Deutschland und Österreich. Manche mit peinlichen Ausgängen (Freispruch von Murer), andere durchaus mit richtigen Ausgängen (Auschwitzprozess in Frankfurt usw. usf.).

01.05.2021 21:36 Uhr
Es ist sogar so, dass die Täter Karriere machten und die Opfer Opfer blieben.
01.05.2021 21:37 Uhr
Zitat:
EwaldB hat diese Umfrage mit der Begründung abgelehnt, der Hintergrund sei nicht OK.

Nicht verwunderlich bei ihm.


Ich habe den Hintergrund auch für falsch gehalten, aber man kann das in einer Diskussion begründen, ich halte auch nichts vom Umfragen rausfiltern, wie das einige hier machen.

Die Umfrage an sich ist eine Grundlage, die Diskussion und das Richtigstellen und der Disput erfolgt durch uns.
01.05.2021 22:26 Uhr
Zitat:
Es ist sogar so, dass die Täter Karriere machten und die Opfer Opfer blieben.


Das dürfte an dem geknickten Selbstbewußtsein liegen. Wer solche Erfahrungen macht, ist seelisch nicht mehr intakt. Das wird von anderen wahrgenommen, die unbewußt entsprechend reagieren.
01.05.2021 22:37 Uhr
Zitat:
Ich habe den Hintergrund auch für falsch gehalten


Ich halte den Hintergrund nicht für falsch. Menschen neigen ganz allgemein dazu, die Opfer ihres Fehlverhaltens aus dem Bewußtsein und der Erinnerung zu verdrängen oder - sofern möglich - nachträgliche Legitimationen für ihr Handeln zu suchen und zu finden.
01.05.2021 22:39 Uhr
Zitat:
Zitat:
Ich habe den Hintergrund auch für falsch gehalten


Ich halte den Hintergrund nicht für falsch. Menschen neigen ganz allgemein dazu, die Opfer ihres Fehlverhaltens aus dem Bewußtsein und der Erinnerung zu verdrängen oder - sofern möglich - nachträgliche Legitimationen für ihr Handeln zu suchen und zu finden.


Ich bezog mich auf diesen Passus

Zitat:
Aber all das hatte nach 1945 keine wirklich schwerwiegenden Konsequenzen. Die Mehrzahl der Täter kehrte in bürgerliche Berufe zurück und wollte von all dem nichts mehr wissen,


und habe erläutert, warum ich das in dieser Form als nicht zutreffend befinde.
02.05.2021 04:35 Uhr
@Ignaz Seipel

In Anbetracht des "Zivilisationsbruchs", den der Genozid am jüdischen Volk darstellte, also das industrielle Töten von Menschen mittels der Logistik eines ganzen Staates, waren die Bestrafungen einzelner Verantwortlicher lächerlich wenig. Zumal die Justiz hier bald ziemlich einschlief.

Man hätte doch eigentlich erwarten müssen, dass die gesamte Menschheit als Zivilisation, die sie doch ist, über diesen Bruch mit der Humanität aufschreit. Aber das ist keinesfalls der Fall gewesen. Die Verantwortung von Konzernen, die zum Beispiel von der Zwangsarbeit profitierten, liegt verschämt im Dunkeln, diese Strukturen blieben unangetastet. Und warum? Weil sie ein integraler Bestandteil dessen sind, worauf die westliche Zivilisation beruht.

Die Täter des Holocaust sind nicht von einem anderen Stern gekommen, es waren Leute von nebenan, Funktionsträger in Institutionen, die jeder kannte und als notwendig akzeptierte: Partei, Ministerien, Sicherheitsapparat.

Diese grundlegende Struktur des Genozids ist niemals in Frage gestellt worden. Bis heute nicht. Und von daher ist es nicht verwunderlich, dass Leute, die aus diesen Strukturen kamen, dann wieder in diese Strukturen zurück gesaugt wurden. Und zwar massenhaft.

Es ist, als ob die bürgerliche Gesellschaft eine dunkle Seite hat, die sie praktisch jederzeit hervorkehren kann und die Vernichtung hervorbringt. Und zwar nicht als individuelle Taten, sondern als gemeinschaftlich begangenes Verbrechen innerhalb zivilisatorischer Strukturen. Sodass man sagen kann: Zivilisation erzeugt Barbarei und ist Barbarei.
02.05.2021 07:01 Uhr
Wo setzt du Täter an?
Es ist leicht aus heutiger Sicht zu sagen "ich hätte mich geweigert mitzumachen".

Meine Oma war Jahrgang 23 und ist in einer unpolitischen Familie aufgewachsen.
Meine Urgroßeltern haben Unbehagen empfunden als sie gemerkt haben, was mit den jüdischen Nachbarn passiert. Getan haben sie nichts dagegen.

Als meine Oma ungefähr 17 war hat sie an einem kleinen Bahnhof einen Wagon mit festgenommenen Juden gesehen, die weiter transportiert wurden.
Nach einigen Tagen in dem Wagon sahen die Menschen entsprechend aus.

Als meine Oma Zuhause erzählt hat, dass der Führer wohl doch recht hat und Juden wirklich stinken, hat sie sich eine der wenigen Ohrfeigen ihres Lebens eingefangen.

Trotzdem waren meine Urgroßeltern Mitläufer.

02.05.2021 07:56 Uhr
@Barneby

Es gab jede Menge Leute, die in jedem Fall verantwortlich gewesen sind, sich aber nie als Täter fühlten: Die Chefs der IG Farben, bei VW, bei der Reichsbank und der Degussa zum Beispiel.

Die Täterfrage ist deswegen so teilweise verschwommen, weil die Zivilisation Arbeitsteilung und Spezialisierungen hervorbringt, was jeden Einzelnen zum einen einspannt und zum anderen auch von Schuldgefühlen fernhält.


Diese Meinung wurde zuletzt geändert am 02.05.2021 08:01 Uhr. Frühere Versionen ansehen
02.05.2021 09:03 Uhr
Einige führende Täter hatten offensichtlich Sorge, es werde nicht so ablaufen, wie im Hintergrund beschrieben, und flüchteten deswegen aus Europa.

Und etliche der überlebenden Opfer machten sich auf den Weg nach Palästina, um dort einen neuen Staat mitzugründen.

Insofern sind mir Umfrage und Hintergrund eigentlich zu pauschal, obwohl sie es auch wieder nicht sind, weil es für die große Masse der Beteiligten so stimmt.
02.05.2021 09:54 Uhr
Nein, ich finde es weder seltsam noch beängstigend, sondern einfach "normal". So funktioniert Gesellschaft nun mal.

Außerdem kamen erst im 2. Weltkrieg die Sieger auf die Idee, die Verlierer vor Gericht zu stellen. In den Jahrtausenden davor war ein Krieg vorbei, wenn er vorbei war. Die Sieger trennten etwas Land vom Besiegten ab, heirateten seine Tochter oder plünderten die Staatskasse und gingen dann zum Frieden über.

Das Konzept, jemanden für etwas vor Gericht zu stellen, was er im Auftrag seiner Vorgesetzten getan hat, erschien vermutlich der Masse der Deutschen, Japaner, Amerikaner, Briten, Franzosen usw. völlig abwegig und war ja auch sehr neumodisch.
02.05.2021 11:08 Uhr
Zitat:
Nein, ich finde es weder seltsam noch beängstigend, sondern einfach "normal". So funktioniert Gesellschaft nun mal.



@Zantafio

Es ist schon seltsam, dass die Normalität kaum kritisch reflektiert, sondern als gegeben hingenommen wird. Du hast hier wieder ein Beispiel dafür gegeben. Unbeabsichtigt natürlich, aber dafür umso überzeugender.
02.05.2021 11:14 Uhr
Die These, dass "Gesellschaft so nun mal funktionieren" würde, impliziert etwas Erschreckendes. Nämlich, dass ab und zu normalerweise ganze Menschengruppen geopfert werden müssten, um sowas wie Fortschritt oder die Lösung bestimmter aufgestauter Widersprüche möglich zu machen.

So gesehen wäre das Witschaftswunder der 1950er Jahre auf der Asche der Holocaustopfer und der Kriegstoten erbaut worden, sodass es sich leichter gelebt habe.

Das ist es sozusagen doppelt entsetzlich: Einerseits das Vergessen, dann das Akzeptieren des Vergessens und schließlich die achselzuckende Rechtfertigung des Ganzen.
02.05.2021 11:14 Uhr
@Astra Zeneca

Was Zantafio hier nennt ist richtig. Auch die Türken kamen ungeschoren davon. Es kam zu Verhaftungen knapp nach Kriegsende und dann kam kaum was raus.

Hitler baute dezidiert auf diese Ereignisse. So soll er 1939 zu Heydrich und Himmler gesagt haben: "Wer denkt noch an die Armenier".

Der zweite Punkt ist jener, dass man einerseits nach dem Krieg nicht wirklich an die die eigenen Verbrechen erinnert werden wollte und auch nicht daran, dass man selbst am Rande verstrickt sein könnte oder auch nur was gewusst haben könnte.

Das ist die Phase zwischen beginnenden Kalten Krieg und Eichmannprozess.

Im weiteren Rahmen wurde hier auch richtig gesagt, dass man wohl auch nicht die Möglichkeiten hatte hier in entsprechender Form zum Tatzeitpunkt einzuschreiten.

Herr Oberscharführer, ich finde es Oarsch, dass ihr da Juden abknallst.

Antwort des Oberscharführer: Willst Dich dazu stellen oder was ist mit Dir.

Was ich sagen will, ist das, dass man wohl kaum Optionen hatte sich zu wehren und nicht jeder ist ein Angestellter von Otto Frank oder ein Helfer, wie ihm Reich-Ranicki erlebte.

Das Wegschauen und auch das Nichtwissenwollen sind wohl menschliche Schutzmechanismen die seit eh und je greifen. Das ist wohl auch zu Zeiten der französischen Revolution und sonstiger blutiger Zeiten nicht anders gewesen.
02.05.2021 11:20 Uhr
@Ignaz Seipel

Die Geschichte, dass man selbst erschossen werden wurde, wenn man nicht mitmachte, wird immer wieder erzählt, aber sie stimmt nicht. Jedenfalls nicht durchgehend. Von den Fällen, die bei den Einsatzgruppen im Osten bekannt geworden sind, wurde kein einziger bekannt, dass da einer der Verweigerer erschossen worden wäre.

Ich bin mit allerdings dessen bewußt, was man "Gruppendruck" nennt. Und schließlich sind diese Leute ja auch dazu gedrillt worden, Befehle auszuführen und ihren "inneren Schweinehund" zu besiegen.
02.05.2021 11:21 Uhr
Zitat:
So gesehen wäre das Witschaftswunder der 1950er Jahre auf der Asche der Holocaustopfer und der Kriegstoten erbaut worden, sodass es sich leichter gelebt habe.


Die Effektivität der Zwangsarbeit war äußerst zweifelhaft. Eigentlich war das aufgrund des Hungers nicht vorhanden. Es gab wohl wenige, die aufgrund eines Prämiensystems ihren Hunger stillen konnten, Arbeitsfähig waren und überleben konnte.

Wenig Orts wurde das überhaupt praktiziert.

Ist der Jud ned arbeitsfähig, da schlag ma gleich vor Ort oder vergas man.

Vgl.

Zitat:
„Einer der Direktoren wies auf Dr. Löhner-Beda und sagte zu seinem SS-Begleiter: ‚Diese Judensau könnte auch rascher arbeiten.‘ Darauf bemerkte ein anderer I.G.-Direktor: ‚Wenn die nicht mehr arbeiten können, sollen sie in der Gaskammer verrecken.‘ Nachdem die Inspektion vorbei war, wurde Dr. Löhner-Beda aus dem Arbeitskommando geholt, geschlagen und mit Füßen getreten, daß er als Sterbender zu seinem Lagerfreund zurückkam und sein Leben in der I.G.-Fabrik Auschwitz beendete.“

„Einer der Direktoren wies auf Dr. Löhner-Beda und sagte zu seinem SS-Begleiter: ‚Diese Judensau könnte auch rascher arbeiten.‘ Darauf bemerkte ein anderer I.G.-Direktor: ‚Wenn die nicht mehr arbeiten können, sollen sie in der Gaskammer verrecken.‘ Nachdem die Inspektion vorbei war, wurde Dr. Löhner-Beda aus dem Arbeitskommando geholt, geschlagen und mit Füßen getreten, daß er als Sterbender zu seinem Lagerfreund zurückkam und sein Leben in der I.G.-Fabrik Auschwitz beendete.“


Quelle: Fritz_Löhner-Beda

Die Effektivität der Zwangsarbeit ist eben nicht gegeben.

Wovon alle Nachfolgestaaten des 3. Reichs profitieren, waren die industriellen Bauten, die geschaffen wurden und dort auch mit Zwangsarbeit.

Gewisse Werke in Auschwitzumgebung waren noch lange in Polen aktiv. Kraftwerk Kaprun, da waren Zwangsarbeiter beteiligt, auch wenn es erst 1955 fertig war.

Aber gewissen Bauten, die auch die Bomben und den Erdkampf überlebten, haben sicher einen Beitrag geleistet, dass der wirtschaftliche Aufschwung in allen Gebieten gelang und dass die Kaufkraft und Wirtschaftskraft bald über jener vor dem Krieg lag.



02.05.2021 11:24 Uhr
@Astra Zeneca

Es geht auch um die Frage, was machst Du, wenn Du sowas siehst.

Einer gab zu, dass er nichts sagte, weil er in der Wehrmacht untergetaucht war und er wusste, dass da seine Leute abgeknallt werden.

Würdest Du ihm das ankreiden wollen?

Ein Urlaubsbekannter sah mal einen Zug am Nebengleis bei seiner Rückreise an die Ostfront. Er wusste, dass da Juden drinnen krepieren.

Tun konnte er nichts. Es bestärkte nur seine persönliche Ablehnung des Regimes.

Ich meinte, die Handlung etwas dagegen zu tun war wohl beengt. Abgesehen von einmaligen Handlungen oder Versuchen, die einem selbst gefährdeten. Dazu ist eben nicht jeder befähigt und hat den ausreichend Mut. Ist auch verständlich.

Diese Meinung wurde zuletzt geändert am 02.05.2021 11:25 Uhr. Frühere Versionen ansehen
02.05.2021 12:01 Uhr
Zitat:
Es ist schon seltsam, dass die Normalität kaum kritisch reflektiert, sondern als gegeben hingenommen wird. Du hast hier wieder ein Beispiel dafür gegeben. Unbeabsichtigt natürlich, aber dafür umso überzeugender.

Im Gegensatz zu Dir stelle ich "normal" in Anführungszeichen. Daraus könntest Du schließen, daß ich "normal" überhaupt nicht normal finde, musst das aber natürlich nicht tun.
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