Chat-Transkript vom 22.12.2003

Sascha Vogt, Vorstandsmitglied im "freier zusammenschluß von StudentInnenschaften"

Thema: Zustand an unseren Universitäten - Bringen uns Studiengebühren ins europäische Bildungsabseits?

: Sascha_Vogt hat den Raum betreten
Sascha_Vogt: Tach auch, bin jetzt endlich eingetroffen.
marillion_(ksp): so jetzt aba :o)
marillion_(ksp): erst einmal willkommen bei dol2day. ich bin der momentane kanzler auf dieser plattform und ich danke dir für deine zusage
Sascha_Vogt: Kein Problem
: Moderator hat den Raum betreten
marillion_(ksp): ich hoffe der moderator kommt auch gleich
Moderator: Hallo alle zusammen.
Moderator: Einen Moment noch bitte , wir fangen sofort an
marillion_(ksp): Sascha, vielleicht stellst du dich mal kurz vor
marillion_(ksp): was ist deine organisation genau
Sascha_Vogt: Ja, ich bin also Sascha Vogt, derzeit noch AStA-Vorsitzender an der Uni Münster und im Vorstand des freien zusammenschluss von studentInnenschaften, der Dachverband der StudentInnenschaften in Deutschland. Kurz gesagt: Wir vertreten die Interessen der Studierenden in Deutschland.
Sascha_Vogt: Man könnte noch ein wenig mehr schreiben: Im Moment vertreten wir rund eine Million Studierende aus allen Teilen der Republik und arbeiten hauptsächlich an bundesweiten Themen, z.B. eben Studiengebühren, Hochschulfinanzierung, BAföG...
: Moderator hat den Raum verlassen
marillion_(ksp): Momentan gibt es ja mal wieder eine große Diskussion über Studiengebühren. Was meinst du? Sind diese sinnvoll und wenn überhaupt unter welchen Bedingungen oder führen uns die Diskussionen über Studiengebühren vielleicht an den wirklichen Problemen an den Unis vorbei
: Moderator hat den Raum betreten
Moderator: so. hallo.
Sascha_Vogt: Wir halten Studiengebühren für prinzipiell nicht sinnvoll. Wir benötigen aus vielen Gründen mehr AkademikerInnen und nicht weniger. Studiengebühren würden dazu führen, dass weitaus weniger Leute ein Studium aufnehmen könnten, hätten also genau den gegenteiligen Effekt. Ein wirkliches Problem an den Hochschulen ist die chronische Unterfinanzierung, die jetzt noch verstärkt werden soll. Es ist aber der falsche Weg, dann zu sagen: "Deshalb brauchen wir Studiengebühren"
Moderator: Hallo, mein Name ist sesqui, Mitglied der JUD und ich habe heute Abend die Ehre, diesen Chat zu moderieren. Sascha, ich sehe, du hast dich ja schon vorgestellt. Wunderbar. Dann leite ich langsam mal die Fragen der Community weiter.
marillion_(ksp): in Bayern wurde die Zahl von 400 Euro ab den Erstsemester genannt und trotzdem ist der Protest sehr verhalten. Woran liegt dieses Problem? Haben die Studenten vielleicht doch Geld oder fühlen sie sich von den Drohungen nicht betroffen
Moderator: Frage von Joe2712 an Sascha Vogt:    "Um gleich mal anzufangen, wie stehst du zu Studiengebühren nach der Regelstudienzeit?"
Sascha_Vogt: Ob der Protest verhalten ist oder nicht, kann man glaube ich schlecht beurteilen. Ich glaube vielmehr, dass wir erst am Anfang des Protestes stehen. Zudem sind die Pläne in Bayern noch ziemlich unkonkret. Man muss aber feststellen, dass wir im Moment bundesweit die größte studentische Protestbewegung seit vielen Jahren haben.
Moderator: (marillion: bitte schaue mal kurz in dein icq-fenster, danke)
Sascha_Vogt: Ich halte auch Studiengebühren nach Beendigung der Regelstudienzeit für unsinnig. In den allermeisten Fällen können die Studierenden nichts dafür, wenn sie länger studieren. Das liegt an der schlechten Lehrsituation und an der unzureichenden sozialen Absicherung. Außerdem kosten Langzeitstudierende die Hochschulen nicht mehr als Studierende in regelstudienzeit.
Moderator: Frage von Bornheimer an Sascha Vogt:    "Es wird gelegentlich behauptet, Studiengebühren, die an die Unis zurückflössen, würden gut für die Studierenden sein, da sie in die Rolle von (Ansprüche stellen könnenden) KundInnen versetzt würden. Wie sieht der fzs das vor dem Hintergrund, dass Studierende als Mtglieder der Körperschaft Universität doch eigentlich schon bessere Rechte als KundInnen haben müssten?"
: marillion_(ksp) hat den Raum verlassen
Sascha_Vogt: Wir lehnen das KundInnen-Verständnis ab. Studierende sind keine KundInnen sondern Mitglieder der Hochschule und können ihre Interessen politisch vertreten. Wenn wir Studierende als KundInnen auffassen würden, würde das die Hochschule und damit letztlich auch die Gesellschaft dramatisch entpolitisieren.
Moderator: Ist das auch als Antwort auf die Frage gedacht, was die Konsequenzen von Studiengebühren unter dem Gesichtspunkt des Anspruchsdenkens angeht?
Sascha_Vogt: Sorry, die Frage verstehe ich nicht so ganz
Moderator: Nunja, es sah so aus, als stünde da noch eine Antwort auf den ersten Teil der Frage von Bornheimer aus.
Moderator: Ich habe hier ein paar Fragen von einigen Leuten, die inhaltlich deckungsgleich sind. Ich leite eine darum mal eine weiter - Die anderen Fragesteller sollten sich darin repräsentiert fühlen:
Moderator: Frage von Cabernet an Sascha Vogt:    "Wenn legen die StudentInnenschaften ein Gegenknzept zu Studiengebühren vor? Oder gibt es das schon?"
Sascha_Vogt: OK, Studierende können doch schon heute Ansprüche bzw. Forderungen stellen. Wir müssen sie aber eben politisch umsetzen. Das KundInnen-Verständnis hat noch weitaus mehr Konsequenzen: Die allermeisten Studierenden würden z.B. ihr Fach nur nach der ökonomischen Verwertbarkeit wählen, also möglichst hohes Einkommen und möglichst schnell durch das Studium kommen. Die Konsequenz wäre dann doch, dass viele Fächer gar nicht mehr studiert würden, die gesellschaftlichen Konsequenzen möchte ich mir nicht ausmalen.
Moderator: (Ich nehme mal an, daß Cabernet mit "wenn" ein "wann" meinte. Das o spendiere ich.)
Sascha_Vogt: Das Gegenkonzept lautet: Wir brauchen mehr Geld für Bildung und nicht weniger. Das hört sich jetzt recht platt an, aber wenden wir uns doch mal dem Grundproblem zu. Es wird immer gesagt, die öffentlichen Kassen seien leer. Wenn in der letzten Woche in Berlin eine Steuerreform beschlossen wurde, die bei den Ländern zu massiven Einnahmeausfällen führt, ist das kein Naturzustand sondern politischer Wille.
Sascha_Vogt: Die Steuerreform war aber nur ein Beispiel.
Moderator: Den Spieß kann man dann aber doch umdrehen, wenn man deine Konsequenzen von oben aufgreift: Die Länder und der Bund erhöhen die Förderung für die Universitäten und gewinnen im gleichen Atemzug Ansprüche gegenüber den Studierenden - etwa, was die Art der Studiengänge, ihre Dauer oder ihre Inhalte angeht, oder?
Sascha_Vogt: Die Studiengänge, die angeboten werden, müssen doch schon jetzt von den jeweiligen Ministerien genehmigt werden. Da ist dann auch so etwas wie die Studiendauer mit drin. Nehmen wir das mal als Beispiel: Wenn die Hochschulen eine vernünftige Studienreform machen würden und die auch finanziell möglich wäre, würden die Studienzeiten in Deutschland massiv sinken. Die allermeisten Langzeitstudierenden, die ich kenne, sind mit ihrer Lage keineswegs glücklich, sondern wollen ihr Studium beenden. Man muss ihnen nur die Möglichkeit dazu geben. Auf der anderen Seite ist es mir aber auch wichtig zu sagen, dass eine Autonomie der Hochschulen sehr wichtig ist, um die Freiheit von Forschung und Lehre zu gewährleisten. Ich glaube, allein unsere historischen Erfahrungen zeigen das.
Moderator: Frage von pogobi an Sascha Vogt:    "kann man die heutige studentenbewegungen wenn auch nur teilweise mit den 68ern vergleichen ?"
Sascha_Vogt: Seltsam, diese Frage wurde mir schon in der letzten Woche von einer Journalistin gestellt: Mir fällt dieser Vergleich aus zwei Gründen schwer: Zum einen war ich '68 nicht dabei, zum anderen ist die jetzige Bewegung noch nicht beendet, man weiß also noch nicht, was daraus wird. Anders ist auf jeden Fall, dass mir die ganze Bewegung etwas unkonkreter erscheint: Man hat keine eindeutigen Forderungen, man will nur, dass etwas anders wird.
Sascha_Vogt: Aus der Bewegung können aber eben noch konkretere Forderungen hervorgehen.
Moderator: Welche Chancen siehst du, daß die Proteste nun die feiertagsbedingte Unterbrechung des Unibetriebes überstehen und im neuen Jahr so weitergehen wie bisher?
Sascha_Vogt: Die politische Lage wird sich auch nach Neujahr nicht geändert haben. Andererseits stehen viele Studierende dann vor wichtigen Prüfungen. Ich denke, die Chancen stehen 50/50. Es wird auf jeden Fall spannend.
Moderator: Eine Frage von vorhin haette ich fast übersehen:
Moderator: Frage von Joe2712 an Sascha Vogt:    "Ein Langzeitstudierender kostet der Uni aber wesentlich länger Geld als ein Student, der in der Regelstudienzeit fertig wird, oder sehe ich das falsch?"
: marillion_(ksp) hat den Raum betreten
Moderator: re marillion
Sascha_Vogt: Nein, das ist doch grundlegend falsch. Ein Langzeitstudent nimmt die Leistungen der Uni nur über einen längeren Zeitraum in Anspruch. Ein Beispiel: Ob ich nun in zehn Semestern jeweils 20 SWS studiere oder in 20 Semester jeweils 10 SWS, ist vom Kostenfaktor her gleich. Und auch das BAföG läuft nach der Regelstudienzeit aus, so dass dort kein Föderanspruch mehr besteht.
Moderator: Hält diese Argumentation einer volkswirtschaftlich geführten Rechnung statt, die auch die Quersubventionierung von Studenten etwa über verbilligte Tickets, günstiges Mensaessen und sonstige "geldwerte Vorteile" berücksichtigen will?
Sascha_Vogt: Der hält sie sogar noch mehr Stand: Das Ticket wird von einer Solidargemeinschaft gezahlt, die Verkehrsbetriebe können sich jährlich über eine fixe Summe freuen. In Münster sind das z.B. 3,5 Millionen Euro. Es ist fraglich, ob die Langzeitstudierenden diese Summe auch ohne SeTi aufbringen würden. Die Leistungen des Studentenwerks werden von höheren Semestern weitaus weniger in Anspruch genommen (16. Sozialerhebung DSW), sie zahlen aber trotzdem ihren Sozialbeitrag, inzwischen die zweitgrößte Einnahmequelle nach den Einnahmen der Wirtschaftsbetriebe. Wenn also die Langzeiststudierenden wegfallen, wird der Sozialbeitrag für alle Studierenden teurer. Alle anderen geldwerten Leistungen sind freiwillige Leistungen der Wirtschaft (klassisch: Das Kino), die sie aus verschiedensten Motivationen anbieten, z.B. auch, um Leute, die über weniger Mittel verfügen überhaupt als KundInnen gewinnen zu können.
Moderator: Frage von BDM_Girlie [Grüße an die RKP für ihren Humor] an Sascha Vogt: "Habt ihr eigentlich vor, euch nur in studentischen Kreisen zu bewegen, oder wollt ihr auch mit anderen Gruppuriengen wie attac und den Gewerkschaften zusammenarbeiten, die sich gegen den gesamtgesellschaftlichen Sozalabbau wehren?"
Moderator: (aeh, ein kleiner technischer Hinweis. Der chat war an sich bis 20:00 Uhr gedacht, allerdings hat sich ja der Start ein wenig verzögert. Sascha: Wie lange hast du Zeit und ggf. Lust, die Nettospielzeit wie geplant durchzuhalten?
Sascha_Vogt: Wer den Aufruf zu den bundesweiten Demos am 13.12. gelesen hat, wird sehen, dass wir ein gemeinsames Vorgehen gegen Bildungs- und Sozialabbau haben wollen. Viele unterschiedliche Gruppen haben zu den Demos aufgerufen, auch attac-Gruppen und Gewerkschaften. Auf den demos haben auch Vertreter der Gewerkschaften Wir planen aber, im nächsten Jahr mit vielen PartnerInnen Bündnisgespräche zu führen, um ein gemeinsames Vorgehen zu koordinieren. Zur Technik: Ich kann gerne noch bis 20.30 Uhr.
Moderator: die Technik dankt.
Sascha_Vogt: ...Gewerkschaften gesprochen... natürlich
Moderator: Ist es im Interesse der Studenten, daß ihr Anliegen zu einem unter vielen wird und (wir wissen ja, alles ist mit allem verbunden) die studentischen Belange ausschließlich in einem Atemzug mit den sonstigen Punkten der aktuellen Reformdebatte genannt werden?
Sascha_Vogt: Ich denke, dass es ein gesunder Mix aus beidem sein muss: Natürlich müssen wir auch unsere eigenen Interessen artikulieren. Wenn ich aber das Grundproblem ein verfehlten Steuer- und Finanzpolitik sehe, macht es Sinn, in vielen Bereichen gemeinsam zu arbeiten. Mal platt: Ich will genausowenig eine Kürzung bei den RentnerInnen wir eine Einführung von Studiengebühren und beides ist möglich.
Moderator: Frage von BDM_Girlie an Sascha Vogt:    "Hi Moderator, frag ihn doch bitte ganz am Schluß, ob er gleich noch auf ein Bier mit in die F24 (AStA-Stammkneipe) kommt ;-)"
Moderator: ( damit dieser Punkt schonmal von der Liste verschwindet.)
Sascha_Vogt: Ich gehe gleich irgendwo was trinken, ich habe nämlich ab gleich Urlaub. Ich weiß nur noch nicht, wo...
Moderator: Hast du damals die Streikwelle 97/98 "live" miterlebt und wie bewertest du ihre Auswirkungen, ggf. gemessen an ihren Zielen.
Sascha_Vogt: Ich habe die Streikwelle als Schüler erlebt. Damals war die Ausgangsposition eine ganz andere: Wir hatten auf politischer Ebene eine Opposition, die zumindest in großen Teilen unsere Ziele mitgetragen haben. Davon hat rot-grün bislang wenig umgesetzt, außer eine halbherzige HRG-Novelle mit einem halben Studiengebührenverbot. Auf der anderen Seite führen gerade rot-grüne Länder massiv Studiengebühren ein. Will heißen: Ja, es gab gewisse Auswrikungen, teilweise kehren sie sich aber leider gerade ins Gegenteil um.
Moderator: Frage von presroi an Sascha Vogt: "Wie wird Deiner Meinung nach die Klage der überwiegend schwarzen Bundesländer gegen das Verbot von Erststudiumsgebühren im HRG in Karlsruhe ausgehen? Bitte eine politische Antwort und eine formale, was die Gestaltungskompetenz des Bundes angeht."
Sascha_Vogt: Politische Antwort: Ich bin guter Hoffnung, dass die Klage scheitert und damit endlich alle Pläne, allgemeine Studiengebühren ab dem ersten Semester einzuführen verschwinden. Formale Antwort: Auch da bin ich guter Hoffnung, da der fzs eine vom Verfassungsgericht angefordete Stellungnahme abgegeben hat, die auch juristisch deutlich macht, dass der Bund im Bereich Studiengebührenverbot Rahmengesetzkompetenz hat.
Moderator: Wunderbar. Ich möchte mich dann ganz herzlich bei unserem Chatgast bedanken und die widrigen Umstände entschuldigen, bzw. Saschas flexible Reaktion darauf. Ich wünsche allen Mitlesenden und Transskriptlesern eine frohe Zeit und einen guten Start in ein neues Jahr.
Moderator: Gerne kannst du noch ein Schlußwort loswerden, sofern das nicht schon durch die hoffnungsgeladene Antwort zur Klage in Karlsruhe erledigt wurde :)
Sascha_Vogt: Da kann ich mich nur anschließen. Es hat mir wirklich viel Spaß gemacht und ich würde alle zu weiteren Diskussionen herzlich einladen. Persönlich oder Online: Mailadressen und Termininfos gibts unter www.fzs-online.org Und natürlich ebenso schöne Feiertage...
Moderator: Ich bin sehr gespannt, was in den kommenden Wochen noch so alles passieren wird. Das meiste davon wird sicherlich auch Thema bei dol2day sein.
marillion_(ksp): Jup, schließe mich den Worten an und bis hoffentlich zum nächsten Mal zu einem etwas positiverem Thema
: Sascha_Vogt hat den Raum verlassen
: Moderator hat den Raum verlassen
: marillion_(ksp) hat den Raum verlassen