Chat-Transkript vom 22.10.2007

Michael Roth, Mitglied des Deutschen Bundestags, SPD

Thema: Der EU-Reformvertrag

: Michael_Roth hat den Raum betreten
Michael_Roth: Die technik funktioniert?
Michael_Roth: Ja.
: Michael_Roth hat den Raum verlassen
: Michael_Roth hat den Raum betreten
: Moderator hat den Raum betreten
Moderator: Guten Abend, Herr Roth.
Michael_Roth: Guten Abend, Herr Moderator.
Moderator: Jep, ich werde auch nicht anonym bleiben ;)
Michael_Roth: Dann bin ich ja beruhigt.
Moderator: Ich habs gerade noch pünktlich geschafft, also würde ich sagen, wir beginnen einfach sofort. Mein Name ist Oliver Specht, ich werde den Chat heute moderieren. Das Thema des Chats ist der EU Reformvertrag. Mein Gast ist Michael Roth. Herzlich Willkommen alle zusammen und ich würde Sie bitten, sich kurz vorzustellen.
Michael_Roth: Soll ich mich jetzt vorstellen?
Moderator: Das wäre nett. Nur kurz, damit unsere Mitleser Bescheid wissen
: *Teutonia*_(nip) hat den Raum betreten
Michael_Roth: Ok. Ich bin seit 1998 direkt gewählter Bundestagsabgeordneter der SPD für den Wahlkreis Werra-Meißner-Hersfeld-Rotenburg. Mein Fachgebiet: Europa, insbesondere EU-Verfassung.
*Teutonia*_(nip): Hallo Herr Roth, Hallo Oli :-)
Moderator: Herzlich willkommen, Teutonia...kannst Du Dich auch kurz vorstellen?
Michael_Roth: Guten Abend. Wer sind Sie?
*Teutonia*_(nip): Hallo Herr Roth. Mein Name ist Manuel, bin 27 Jahre alt und der 25. Internetkanzler. Ich gehöre der NIP (Nationalliberale Internetpartei) an und werde an diesem Chat als repräsentatives Mitglied Dols teilnehmen.
Moderator: Kommen wir zum Thema. Herr Roth, können Sie kurz umreissen, worum es beim EU Reformvetrag geht?
Michael_Roth: Die EU muss handlungsfähiger und demokratischer werden, um Globalisierung zu gestalten. Die EU hat sich innerhalb weniger Jahre von 12 auf 27 Mitgliedstaaten vergrößert, aber notwendige innere Reformen blieben auf der Strecke. Darüber beraten wir seit Jahren. Nach den gescheiterten Referenden in Frankreich und den Niederlanden musste der vorliegende Verfassungsvertrag noch einmal überarbeitet werden. Das ist nunmehr geschehen.
Moderator: Frage von Pantalaimon an Michael Roth:    "Herr Roth ist der neue EU-Vertrag der rgoße Wurf, oder zu kompromislastig? Trägt der Vertrag zu sehr die Handschrift der Kaczinskis oder Prodis?"
Moderator: von euroman1 an Michael Roth: "Hallo und guten abend"
Michael_Roth: Herr Prodi und die Italiener sind nicht das Problem, die sind traditionell sehr europafreundlich. Der Reformvertrag beinhaltet schmerzhafte Einschnitte, aber die Substanz des Verfassungsvertrages konnte gerettet werden. Insgesamt ist das Fundament gemeinsamer Überzeugungen in der EU brüchiger geworden, das macht die Kompromisssuche so schwierig.
Moderator: Hinweis von mir: Ich leite die Fragen der Mitleser weiter, damit der Chat geordnet abläuft und nachher noch lesbar ist, es erscheinen also nidcht direkt alle Nachrichten, die von den Mitgliedern geschrieben werden.
Moderator: Frage von SGvT77 an Michael Roth:    "Hallo! Danke, Herr Roth, dass Sie sich die Zeit nehmen, mit uns zu chatten! Eine Frage: 2005 gab es einen Verfassungsvertrag, jetzt gibt es einen neuen Vertrag. Was ist da passiert?"
Michael_Roth: Ich freue mich jedenfalls über das Wahlergebnis in Polen.
Michael_Roth: Nach den gescheiterten Volksabstimmungen gingen die Beratungen noch einmal von vorne los. Für einige Mitgliedstaaten ist alles, was nach Verfassung aussieht und nationale Spielräume weiter einschränken könnte, inakzeptabel. Daher wurde aus dem Verfassungsvertrag ein Reformvertrag - ohne einen EU-Außenminister, ohne Flagge und Hymne...
Moderator: Vielleicht kann man die nächsten beiden Fragen kombinieren...
Moderator: Frage von SGvT77 an Michael Roth:    "Noch eine Frage: Wann tritt der neue Vertrag in Kraft?"
Moderator: Frage von euroman1 an Michael Roth:    "Wie wirken sich die Neuwahlen in Polen auf den EU-Reformvertrag aus? Bestehen nun Möglichkeiten der Korrekturen?"
Michael_Roth: Aber auch ohne Erwähnung im Vertrag bleibt es bei der Europaflagge. Und einen Außenminister haben wir faktisch auch, nur heißt er nicht so.
Moderator: Frage von grandmastr an Michael Roth:    "Hätten sie gerne einen EU-Aussenminister, eine Flagge und Hymne?"
Michael_Roth: Wenn alles klappt, also alle Mitgliedstaaten ratifizieren, zum 1. Januar 2009.
Michael_Roth: Insgesamt wird Polen wieder näher an Europa herangeführt. Das hoffe ich zumindest. Aber Änderungen wird es wohl nicht mehr geben. Der Sack ist jetzt zu.
Michael_Roth: Symbole sind wichtig als Identitätsmerkmale einer Gemeinschaft. Am Titel "Außenminister" hänge ich nicht. Aber die EU muss international stärker mit einer Stimme sprechen, um überhaupt wahrgenommen zu werden und Einfluss nehmen zu können.
Moderator: Frage von Tony_Ray an Michael Roth:    "Hätte man die EU nicht vor den Neuaufnahmen reformieren sollen? Haben die Neulinge dies nicht erst so schwierig gemacht?"
*Teutonia*_(nip): Herr Roth, welche Vorteile hat nun der Vertrag für Deutschland? Die Bevölkerung sieht diesen Reformvertrag doch sehr kritisch.
Michael_Roth: Prinzipiell ja. Wir haben immer gesagt: Vertiefung und Erweiterung sind zwei Seiten der selben Medaille. Die Vertiefung hielt jedoch mit der Erweiterung nicht Schritt. Um so schwieriger waren jetzt die Reformen. Es ist eben nicht einfach, sich mit 27 auf einen Kompromiss zu verständigen.
Michael_Roth: Es gibt wieder eine wachsende Zustimmung für das Vereinte Europa - auch in Deutschland. In vielen Politikfeldern sind die Nationalstaaten zu klein, um gestalten zu können. Da brauchen wir ein stärkeres und demokratisch verfasstes Europa. Umwelt- und Klimaschutz sind sicher zwei zentrale Herausforderungen.
Moderator: Frage von Stiegler an Michael Roth:    "Warum darf die Bevoelkerung nicht abstimmen? Das waere demokratisch seit dem 19.Jhdt so vorgesehen!!"
*Teutonia*_(nip): Welche Nationalstaaten meinen Sie? Und verlieren die Nationalstaaten nicht ein Stück weit an Souveränität?
Michael_Roth: Unser Grundgesetz sieht Vokstabstimmungen nicht vor. Ich hätte damit keine Probleme. Aber es entscheiden Bundestag und Bundesrat - mit jeweils zwei Drittel Mehrheiten.
Michael_Roth: Ich meine die Mitgliedstaaten der EU. Und die gewinnen durch die EU wieder an Handlungsfähigkeit zurück.
Moderator: Frage von grandmastr an Michael Roth:    "Kann die EU denn überhaupt mit einer Stimme sprechen, gerade beim Irakkrieg hat man doch verschiedene Richtungen und Haltungen gesehen"
Michael_Roth: Die EU will ja aus den Fehlern der Vergangenheit lernen. Und es gibt international eine große Erwartungshaltung.
*Teutonia*_(nip): Wie geht man denn in Zukunft mit Wahlgewinnern um die sehr europakritisch agieren? Es werden ja nicht immer und überall europafreundliche Regierungschefs gewählt werden... Wie kann man diesen Vertrag anfechten?
Michael_Roth: Die Kaczinski-Brüder haben Polens Einfluss in der EU nachhaltig geschwächt und damit ihrem eigenen Land einen Bärendienst erwiesen. Es gibt gute Gründe für eine konstruktive Haltung gegenüber der EU, dazu gehört ausdrücklich auch Kritik. Schließlich sind die EU-Organe nicht sakrosankt...
Moderator: Frage von euroman1 an Michael Roth:    "wie gross sind denn die chancen, dass wirklich alle mitgliedstaaten ratifizieren. und was, wenn einige nicht mitmachen?"
Michael_Roth: Alle Mitgliedstaaten müssen nach ihren jeweiligen nationalen Regeln ratifizieren. Sollte dies misslingen, ist das Projekt abermals gescheitert.
*Teutonia*_(nip): Wie stehen Sie zu einer Europaarmee? Sollte die Bundeswehr zugunsten dieser abgeschafft werden?
Michael_Roth: Im Falle eines erneuten Scheiterns befürchte ich ein Auseinanderdriften der EU.
Moderator: Frage von SGvT77 an Michael Roth:    "Haben die Briten durch ihre Ausnahmeregelungen etwas dazugewonnen?"
Michael_Roth: Eine Abschaffung der Bundeswehr zugunsten einer Europaarmee fordert niemand. Es geht um integrierte Streitkräfte als Ergänzung zu nationalen Armeen, die man sicher weiter reduzieren könnte.
Michael_Roth: Die Briten schießen sich ins eigene Knie. Ich halte es für skandalös, dass die Grundrechtecharta nicht für Briten gelten soll!!! Das verstehe, wer will...
Moderator: Es sind hier einige Fragen zur "Aufrüstungspflicht", die in dem Vertrag enthalten ist. Wie stehen Sie dazu, sehen sie diesen Passus ebenfalls als "Aufrüstungspflicht"?
Michael_Roth: Nein. Es geht schlicht darum, dass die nationalen Rüstungsinvestitionen stärker aufeinander abgestimmt werden sollen. Das spart Kosten. Die EU verpflichtet niemanden zu Aufrüstung, im Gegenteil setzt die EU in ihrer Sicherheitsstrategie auf politische, diplomatische und zivile Krisenprävention. Militäreinsätze sind stets ultima ratio.
*Teutonia*_(nip): Giscard d´Estaing kritisiert das der Reformvertrag einfach nur kosmetisch aufgewertet wurde und der Inhalt immer noch derselbe ist. Dies sollte angeblich gemacht worden sein damit der Vertrag besser zu verkaufen gewesen wäre... Ist das richtig? Und wenn Nein, welche expliziten Änderungen sind festgehalten, und sind auf die Belange der Franzosen und Niederländer eingegangen, worden?
Michael_Roth: Die wesentlichen Inhalte bleiben erhalten. Auf Wunsch der Niederländer wurde die Rolle der nationalen Parlamente nochmals gestärkt. Die Briten und Polen lassen für ihre Bevölkerung die Grundrechtecharta nicht gelten. Das vorliegende Dokument ist weniger verständlich und transparent als der Verfassungsvertrag.
Moderator: Frage von ragamuffin an Michael Roth:    "Großbritannien fühlt sich eben nicht als Teil Europas. Dort spricht man von "Europe" wenn man das Festland meint. Es ist wirklich nicht verwunderlich, dass so kein Interesse an der EU entsteht - immerhin ist man nichtmal geographisch wirklich Nachbar."
Moderator: Frage von Tony_Ray an Michael Roth:    "Gibt es langfristig Bestrebungen die EU noch weiter zu vergrößern? Wenn ja, welche Staaten hätten noch Möglichkeiten in den nächsten Jahrzehnten dazuzukommen?"
Michael_Roth: Die Briten müssen jedoch langsam aber sicher klären, ob sie dazu gehören wollen - oder eben nicht. Die EU ist schon lange viel mehr als eine Freihandelszone.
Michael_Roth: Viele Staaten wollen gerne zur EU gehören. Momentan führen wir Beitrittsverhandlungen mit Kroatien und der Türkei. Ich sehe für Kroatien in den nächsten Jahren durchaus Chancen. MIt der Türkei gestalten sich die Verhandlungen schwieriger. Es müssen strenge Kriterien erfüllt werden. Beitritte zum Nulltarif gibt es nicht.
Moderator: Es gibt hier unter den Fragestellern einige Verwunderung darüber, daß es keine Volksabstimmungen im GG gibt. Wäre es nicht gerechter, wenn dieser Vertrag, der ja anscheinend eine verpackte neue EU Verfassung ist, über Volksabstimmungen legitmiert worden wäre?
Michael_Roth: Das Grundgesetz sieht nur für Länderneugliederungen explizit Volksabstimmungen vor. Bislang gibt es weder im Bundestag noch im Bundesrat eine notwendige Zweidrittel-Mehrheit für mehr direkte Demokratie. Und ohne Grundgesetz-Änderung ließen sich Volkstabstimmungen nicht realisieren.
Moderator: Wie kann man die Dissonanz zwischen EU Kompetenzen und Rechten der Selbstbestimmung der einzelnen Staaten auflösen oder ist dies zum jetzigen Zeitpunkt gar nicht möglich?
Michael_Roth: Im übrigen unterstütze ich Forderungen nach plebiszitären Elementen im Grundgesetz.
Michael_Roth: Die EU-Mitgliedstaaten bleiben die entscheidenden Spieler auf der EU-Ebene. Im Rat, neben dem EP das zentrale Gesetzgebungsorgan, sind alle Mitgliedstaaten vertreten. Kein EU-Gesetz fällt ohne Mitwirkung der Mitgliedstaaten einfach vom Himmel.
Moderator: Frage von flitzer an Michael Roth:    "Was meinen Sie wielange es noch dauern wird, bis das EU-Parlament annähernd die gleichen Rechte wie die nationalen Parlamente haben wird? Also natürlich auf die ganze EU gemünzt... "
Michael_Roth: Das EP wird durch den Reformvertrag weiter massiv gestärkt und ist neben dem Rat ein gleichwertiger Gesetzgeber. Leider ist dies in den Bereichen Innen- und Justizpolitik noch nicht der Fall. Hier müssen eben die nationalen Parlamente ihre Kontroll- und Einflussfunktionen besser wahrnehmen.
Moderator: Frage von Pantalaimon an Michael Roth:    "Sind NAtionalstaaten wie sie konservative Elemente beschwören nicht ein überholtes Konzept aus dem vorigem Jhdt? Liegt die Zukunft nicht eher in Staatenbündnissen?"
Michael_Roth: Nationalstaaten werden sicher bis auf weiteres bestehen. Aber nicht nur in Europa sondern auch anderswo streben Staaten nach zukunftsweisenden Kooperationsformen, um politische Handlungsfähigkeiten in Zeiten der Globalisierung zurück zu gewinnen.
*Teutonia*_(nip): Wie stellen Sie sich das perfekte Europa vor?
Michael_Roth: Ein perfektes Europa gibt's nicht. Gibt ja auch kein perfektes Deutschland. Aber eine größere Bereitschaft zur Zusammenarbeit, ein stärkeres soziales Profil, stabilere demokratische Strukturen und größere Handlungsfähigkeit nach innen und außen wünsche ich mir schon. Wir haben leider einen Mangel an "echten" Europäerinnen und Europäern.
Moderator: Wir sind bereits am Ende der Zeit angelangt. Ich bedanke mich bei Michael Roth für die Zeit und bei allen Mitlesern und Fragestellern für ihr Interesse.
Michael_Roth: Vielen Dank und noch einen schönen Abend!
Moderator: Gleichfalls und auf wiedersehen :)
Moderator: Gleich im Anschluss um 19.30 der Chat mit Volker zum Thema: Homosexualität in der Politik
*Teutonia*_(nip): Vielen, lieben Dank, Herr Roth, das Sie sich den Fragen der Dolgemeinschaft gestellt haben. Ich will hoffen das es nicht das letzte Mal war und Sie uns in guter Erinnerung behalten.
Moderator: Öh, mit Volker Beck. Auf Du sind wir noch nicht...
Michael_Roth: Grüßen Sie bitte den Kollegen Volker Beck herzlich von mir. Viel Erfolg und gute Diskussionen!
: Michael_Roth hat den Raum verlassen
Moderator: Bin auch weg, bis dann und viel Spaß gleich!
: Moderator hat den Raum verlassen