Chat-Transkript vom 13.03.2008

Dr. Hermann Otto Solms, Vizepräsident des Deutschen Bundestages und finanzpolitischer Sprecher der FDP-Bundestags-Fraktion

Thema: Wer überwacht die Überwacher - Die Vorratsdatenspeicherung

: Hermann_Otto_Solms hat den Raum betreten
: Leguan_(akwa) hat den Raum betreten
: Hermann_Otto_Solms hat den Raum betreten
: Moderator hat den Raum betreten
Moderator: Guten abend zusammen
Moderator: Ich bin Oliver Specht und werde heute den Chat moderieren
Leguan_(akwa): Guten Abend.
Moderator: Herr Solms? Sind sie am Rechner? Dann können wir loslegen, oder?
Hermann_Otto_Solms: Guten Abend freut mich sehr Sie kennenzulernen.
Leguan_(akwa): Ich bin die 26. Kanzlerin von dol2day und heiße hier Leguan und im realen Leben Lilli.
Moderator: Guten abend alle zusammen und herzlich willkommen beim dol2day Chat. Wie immer beginnen wir mit einer kurzen Vorstellrunde. Mein Name ist Oliver Specht und ich werde den Chat heute moderieren.
Leguan_(akwa): Mich freut es ebenfalls.
Leguan_(akwa): auch ein hallo an alle Doler
Moderator: Thema des heutigen Chats ist: "Wer überwacht die Überwacher - Die Vorratsdatenspeicherung"
Moderator: Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, daß die Vorratsdatenspeicherung "nur unter strengen Auflagen" erlaubt ist. Wie "streng" sind diese Auflagen in Ihren Augen?
Moderator: @Leguan: Du kannst gerne Fragen stellen, ich woltle mich nicht vordrängeln :)
Hermann_Otto_Solms: Das Bundesverfassungsgericht muss dies noch beurteilen. Die Verfassungklage ist eingereicht.
Leguan_(akwa): Mich macht nur stutzig, wo man aber auch die Grenze ziehen will, zwischen Privat und privat? Damit meine ich, auch für einen Terroristen sind seine Dateien privat.
Leguan_(akwa): Wer hat eigentlich Einsicht in die gespeicherten Dateien?
Hermann_Otto_Solms: Der Staat hat zweifelsfrei die Aufgabe für die notwendige Sicherheit zu sorgen. Die dafür eingesetzen Mittel müssen allerdings verhältnismäßig sein. Die Einschränkung der Grundrechte muss durch den erzielten Nutzen gerechtfertigt sein. Das ist bei der Vorratsdatenspeicherung ohne Verdacht nicht der Fall.
Moderator: Frage von huch an Dr. Hermann Otto Solms:    "Thema ist ja heute "Wer überwacht die Überwacher?" Ja, wer ist das denn nun? Mir kommt es so vor, als ob das Verfassungsgericht in den nächsten Jahren noch viel zu tun haben wird in dieser Hinsicht. Aber das sollte ja eigentlich nicht zur Regel werden. Was kann man da in ihren Augen tun, dass nicht jedesmal die Fälle und Gesetze vom Gericht entschieden werden?"
Hermann_Otto_Solms: In die gespeicherten Daten haben nicht nur die Ermittlungsbehörden, sondern auch Nachrichtendienste und Verfassungsschutz. Das ist aber von der Europäischen Richtlinie nicht vorgegeben. Das deutsche Gesetzt geht über die Richtlinie hinaus.
Moderator: Ganz vergessen, aber wichtig: Ein Hinweis noch in eigener Sache: Aussagen unserer Chat-Gäste, die im dol-Chat fallen, können wie immer bei unserem Partner "trupoli" bewertet werden. Die heutigen Aussagen stehen dort relativ zeitnah zur Abstimmung bereit. Hier der Link zum Profil unseres heutigen Gastes: http://www.trupoli.com/c/d2d/de/politiker/solms_hermannotto
Hermann_Otto_Solms: Eigentlich muss die Kontrolle über die Zulässigkeit von gesetzlichen Regeln vom Gesetzgeber selbst vorgenommen werden. Dafür finden intensive Debatten und Beratungen statt. Wenn die große Mehrheit des Parlaments aber einseitig verfassungsrechtlich bedenkliche Eingriffe in die Grundrecht vornimmt, dann bleibt in letzter Instanz nur das Verfassungsgericht. Das überprüft, ob die beschlossenen Rechtsnormen mit dem Grundgesetz vereinbar sind, oder nicht.
Moderator: Frage von François an Dr. Hermann Otto Solms:    "Herr Solms, zäumt man das Pferd so nicht von hinten auf? Wäre es nicht sehr viel sinnvoller, diese staatliche Spionage, die inzwischen von allen Parteien propagiert wird, einfach zu verbieten?"
Leguan_(akwa): An sich ist doch der Bürger schon jetzt ein gläsernes Objekt, unsere Kontodaten dürfen überprüft werden, Videokameras "verfolgen" uns auf schritt und Tritt. Dann ist doch diese Vorratsspeicherung nur noch das i-Tüpfelchen, welches unsere Grundfreiheitsrechte doch noch mehr einschränkt?
Hermann_Otto_Solms: Das pauschale Speichern aller Verbindungsdaten von Festnetz, Handys und SMS widerspricht dem Grundrecht der informationellen Selbstbestimmung, welches vom Verfassungsgericht im berühmten "Volkszählungsurteil" 1983 entwickelt worden ist. Es wäre nur zu rechtfertigen, wenn es zur Ermittlung, Feststellung und Verfolgung von schweren Straftaten zwingend notwendig erscheint.
Moderator: Frage von Sachsenwolf an Dr. Hermann Otto Solms:    "Herr Dr. Solms: Ist es denn nicht beschämend für das Parlament, wenn imer wieder Gesetze durch das Verfassungsgericht "kassiert" werden müssen?"
Hermann_Otto_Solms: Die Überwachungsmöglichkeiten sind während der Regierung der Großen Koalition extrem ausgeweitet worden. Die FDP hat dem jeweils widersprochen, aber keine Mehrheit bekommen. Aber das Verfassungsgericht hat einige Überwachungsmöglichkeiten und damit Eingriffe in persönliche Grundrechte eingeschränkt: Luftverkehrssicherheitsgesetz (Abschießen von Flugzeugen, Onlinedurchsuchung, automatische Fahrzeugüberwachung zur Feststellung von Bewegungsbildern und jetzt hoffentlich bei der Datenspeicherung.
Moderator: Frage von flitzer an Dr. Hermann Otto Solms:    "Herr Dr. Solms, die Regierung will nach dem Urteil des BVerfG trotzdem ein Gesetz zur Online-Überwachung vorlegen. Was kann man denn da noch erwarten? Das Gericht hat doch den Großteil eigentlich ausgeschlossen... braucht man da nun wirklich noch ein gesetz, was eh kaum noch etwas regeln kann?"
Hermann_Otto_Solms: Antwort an Sachsenwolf: Das ist beschämend für die Große Koalition. Denn sie entscheidet sich in jedem Fall für die staatliche Überwachung und gegen den Schutz der informationellen Selbstbestimmung der Bürger. In Koalition mit der FDP in den 90er Jahren sind solche Grundrechtseinschränkungen immer verhindert worden. Auch der Lauschangriff ist nur unter strengen Bedingungen und bei richterlicher Genehmigung zugelassen worden.
Hermann_Otto_Solms: Auch das Gesetz wird von uns genaustens überprüft und im Zweifelsfalle wieder zum Verfassungsgericht gebracht.
Moderator: Frage von François an Dr. Hermann Otto Solms:    "Herr Solms, die FDP war in letzter Zeit maßgeblich an neuen Spionagemethoden beteiligt - NRW-Innenminister Wolf wurde vom BVerfG gestoppt. Die CDU/FDP-Landesregierung von Baden-Württemberg hält am Kennzeichenscanning fest, obwohl das BVerfG eine eindeutige Aussage getroffen hat. Andererseits sagen sie, dass die FDP den Überwachungsgesetzen der Großen Koalition widersprochen hat, aber keine Mehrheit bekommen hat. Das passt irgendwie nicht zusammen."
Hermann_Otto_Solms: Das stimmt im Falle des Gesetzes in Nordrhein-Westfalen, aber immerhin hat Herr Wolf eine gesetzliche Regelung versucht, während andere ohne gesetzliche Grundlage diese Überwachungsinstrumente einsetzen. Das Gesetz in Nordrhein-Westfalen muss selbstverständlich geändert werden. Über die Sache über das Kennzeichenscanning von Baden-Württhemberg bin ich nicht informiert. Unser Justizminister Ulli Goll in Stuttgart wird für eine strikte Einhaltung der verfassungsrechtlichen Grenzen Sorge tragen.
Moderator: Frage von winkelmaß an Dr. Hermann Otto Solms:    "Hallo. Ich habe zwei Fragen: 1) Einige SPD-Abgeordnete haben in einer Erklärung dargelegt, warum sie der Vorratsdatenspeicherung zugestimmt haben (zur Terror-Abwehr); Herr Wiefelspütz (ebenfalls SPD) ist laut Eigenaussage generell dafür (unabhängig von etwaiger Terrorgefahr). Welche Vorteile könnte diese Datenspeicherung noch haben? 2) Es laufen zwei separate Verfassungsbeschwerden gegen die Vorratsdatenspeicherung (eine vom Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung, Sammelklage mit 34.939 Klägern) und eine von der FDP-Linken um Baum, Hirsch und Leutheusser-Schnarrenberger. Wie sind die Chancen dieser Klagen einzuschätzen? "
Hermann_Otto_Solms: Zu Frage 1 von Herrn Winkelmaß. Ich halte die Vorratsdatenspeicherung für unverhältnismäßig, denn alle Bürger werden sozusagen unter Verdacht gestellt und müssen dann Zweifelsfalle ihre Unschuld beweisen, ohne etwas im Schilde geführt zu haben. ÜBerwachung darf es nur geben bei begründetem Verdacht und richterlicher Genehmigung und nicht allein auf Initiative der Behörden. Antwort auf Frage 2. Ich habe mich selber der Klage von Burhardt Hirsch angeschlossen um auch deutlich zu machen, dass dieses nicht nur von sogenannten Linken in der FDP kritisch gesehen wird. Die Sicherung der Grundrechte ist für den Bestand eines freiheitlichen Rechtsstaates zwingende Voraussetzung.
Moderator: Frage von flitzer an Dr. Hermann Otto Solms:    "Der Überwachungsstaat wird langsam immer mehr Wirklichkeit. Wieviel Druck aus den USA steht dahinter? Oder kommt das wirklich aus innerem Antrieb der deutschen Regierungen?"
Moderator: Frage von SuperSayajin an Dr. Hermann Otto Solms:    "Inwieweit sind wir denn überhaupt vom Terrorismus bedroht? Dient das nicht alles eher dazu, uns unsere Rechte wegzunehmen, für die Generationen von Menschen einen hohen Blutzoll geleistet haben?"
Leguan_(akwa): Das ist keine direkte Frage, aber mir scheint, dass es Politiker, aber auch Bürger gibt, die in der Terrorgefahr so eine Furcht haben, dass sie ihr Grundfreiheiten bereit sind aufzugeben.
Hermann_Otto_Solms: Antwort an Flitzer Es ist sicher auch ein internationales Problem, wenn Kriminalität und Terrorismus sich international organisieren, dann kann man dem auch nur durch internationale Zusammenarbeit erfolgrech begegnen. Es ist immer eine schwierige Abwägung zwischen der Sicherung der persönlichen Freiheitsrechte einerseits und dem Schutz der Bürger vor Straftaten andererseits. Aber das ist gleichzeit die Bewährung für den Rechtstaat.
Moderator: Angeschlossen an die Frage von SuperSayajin: Ist die Vorratsdatenspeicherung denn überhaupt effizient? Es kann jawohl davon ausgegangen werden, daß sich jemand mit ein wenig technischem Sachverstand anonym im Internet bewegen kann. Mal abgesehen davon, daß sogar etliche Gruppen (u.a. der CCC) die technische Kompetenz der Behörden anzweifeln.
Hermann_Otto_Solms: Antwort an SuperSayajin Wir sind erwiesenermaßen, und dafür gibt es viele Beweise, genauso bedroht, wie andere europäische Staaten z.B. Großbritanien. Das bis jetzt in Deutschland noch kein großer Anschlag gelungen ist, sollte uns nicht in Sicherheit wiegen. Aber die Schutzmaßnahmen dürfen nicht dazu führen, dass sämtliche Bürger unter Verdacht gestellt werden. Die Ermittlungsbehörden haben die Pflicht in jedem Einzelfall ihren Verdacht zu beweisen und dann die richterliche Genehmigung für Überwachungsmaßnahmen zu erlangen.
Hermann_Otto_Solms: Antwort Leguan Bei den Innenpolitikern der Großen Koalition ist das ja deutlich erkennbar. Das darf uns aber nicht schrecken. Wir dürfen uns nicht davon abbringen lassen die Prinzipien eines Liberalen Rechtstaates einzuhalten.
Hermann_Otto_Solms: Die technische Kompetenz kann ich nicht beurteilen, aber da gibt es sicher einen Wettlauf wer jeweils die bessere technischen Fähigkeiten besitzt. Das ist aber kein Grund das Prinzip der Verhältnismäßigkeit der Mittel zu verletzen.
Moderator: Die Frage zielte eher darauf ab, daß ein uneffektives Mittel erst gar nicht in Erwägung gezogen werden sollte, wenn es die Freiheit so stark einschränkt.
Moderator: Frage von François an Dr. Hermann Otto Solms:    "Naja, was macht eine Überwachung mit gesetzlicher Grundlage besser als eine Überwachung ohne Grundlage? In beiden Fällen werden in großer Mehrzahl unschuldige Bürger ausspioniert. Und wie man sieht, hat auch die Quasi-Abschaffung des Bankgeheimnisses einen "Fall Zumwinkel" nicht verhindert - dafür brauchte man Hilfe aus Liechtenstein. Alles in allem erscheint der Erfolg doch eher fraglich, oder?"
Hermann_Otto_Solms: Man weiß meist erst im Nachhinein welches Mittel effektiv ist und Erfolg verspricht und welches nicht.
Leguan_(akwa): Angenommen, das Gesetz kommt nach vielen Überarbeitungen nun doch durch, gibt es dann eine Kontrollinstanz der kontrolleure? Das war doch die Asugangsfrage von dem heutigen Chat.
Hermann_Otto_Solms: Antwort an Francois Das sehe ich anders. Wenn die Überwachung daran gebunden ist, dass ein Verdacht so begründet werden muss das ein Richter den entsprechenden Überwachungsinstrumenten zustimmt (beispielsweise Telefonüberwachung) dann ist der Kreis der überwachten Personen stark eingeschränkt. Die überwachten Personen müssen darüber informiert werden.
Hermann_Otto_Solms: Kontrollinstanz muss immer die unabhängige Gerichtsbarkeit sein. Dafür haben wir ja die Gewaltenteilung.
Moderator: Frage von Sachsenwolf an Dr. Hermann Otto Solms:    "Herr Dr. Solms: Es ist aber bekannt, das z.B. entgegen der gesetzlichen Regelung kein Bürger über die Überwachung seiner Bankkonten informiert wird."
Moderator: In welchen Fällen schreitet die Gerichtsbarkeit ein, bzw. werden Stichproben gemacht oder wie laufen diese Mechanismen ab?
Moderator: Frage von François an Dr. Hermann Otto Solms:    "Herr Solms, wo kann ich denn als einfacher Bürger die Daten einsehen, die irgendwelche staatlichen Stellen im Laufe der Jahre über mich gesammelt haben?"
Hermann_Otto_Solms: Herr Sachsenwolf, das Kontenabrufverfahren gibt keine Informationen über die Vorgänge auf den Konten , sondern nur über Konto, Inhaber und Bank. Insoweit ist das Steuergeheimnis noch gewahrt, das Bankgeheimnis allerdings ist aufgehoben. Ich halte dies auch für bedenklich, weil dadurch das Vertrauen des Bürges in einem fairen Staat verloren geht.
Hermann_Otto_Solms: Rechtschutz kann nur funktionieren, wenn die betroffenen über die Überwachung informiert werden, so dass sie Rechtsmittel einlegen können. Dieses Prinzip ist bei einigen Vorschriften nicht mehr gewährleistet. Das ist entschieden zu kritisieren.
Moderator: Da die Zeit leider um ist, würde ich Ihnen gerne die drei verbliebenen Fragen per Mail zur Beantwortung zukommen lassen. Wir würden sie dann an den Chat anhängen. Ist das in Ordnung?
Hermann_Otto_Solms: Francois, bei der Vorratsdatenspeicherung müssen die Daten nach einem halben Jahr gelöscht werden.
Hermann_Otto_Solms: einverstanden - ich bedanke mich für die anregenden Fragen und mache jetzt von meinem Recht auf freie, nicht überwachte Abendgestaltung Gebrauch. Bis bald.
Moderator: Ich bedanke mich recht herzlich bei Ihnen für Ihr Kommen und und bei allen Mitlesern und Fragestellern. Es war ein interessanter Chat.
Moderator: Auf wiedersehen und schönen Abend :)
Leguan_(akwa): Ja vielen Dank Herr Solms!
Leguan_(akwa): Schönen Abend noch allen!
Moderator: Frage von Sachsenwolf an Dr. Hermann Otto Solms:    "@ Moderator: Bitte sage Herrn Dr. Solms unseren besten Dank, ich habe selten so klare Aussagen hier im dol Chat gelesen!"
Moderator: Und nochmal der Hinweis: Wer nun Interesse hat, abseits unserer Community noch die Aussagen von Herrn Dr. Solms zu bewerten, sollte einen Blick zu unserem Partner "trupoli" werfen. Unter http://www.trupoli.com/c/d2d/de/politiker/solms_hermannotto kann man nun exklusiv schon die ersten Aussagen bewerten.
Moderator: Frage von schraube an Dr. Hermann Otto Solms:    "Wie siehts mit einer anderen Farbe für Herrn Solms aus?"
Moderator: Danke für die Beharrlichkeit, schraube ;)
Moderator: Auf wiedersehen alle zusammen!
: Moderator hat den Raum verlassen
: Leguan_(akwa) hat den Raum verlassen