Chat-Transkript vom 16.03.2004

Jörg Drieselmann, Leiter der Forschungs- und Gedenkstätte Normannenstraße

Thema: Politisches System der DDR sowie Funktion und Arbeitsweise des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS)

: Moderator hat den Raum betreten
Moderator: So, jetzt aber.
Moderator: Guten Abend Herr Drieselmann.
Moderator: Herr Drieselmann?
: Joerg_Drieselmann hat den Raum betreten
Joerg_Drieselmann: Einen wunderschönen guten Abend!
: Combo_(kdp) hat den Raum betreten
Moderator: Guten Abend Herr Drieselmann, ich versuche gerade noch unseren Co-Moderator Combo in den Chat zu lotsen ;)
Joerg_Drieselmann: Ich habe gerade mit Combo telefoniert. Er hat Probleme, ebenso wie ich.
Moderator: Die Probleme sind nun glücklicherweise behoben und daher darf ich Euch beide, aber auch alle Zuschauer draussen an den Geräten recht herzlich im dol2day-Chat begrüssen.
Combo_(kdp): Hallo, ich bin nun nach Schwierigkeiten hier, alles roger ;)
Moderator: Mein Name ist Marcus Viefeld und ich bin von der dol2day-Redaktion. Ich werde auch die Fragen aus der Community in den Chat weiterleiten.
Combo_(kdp): Guten abend, ich begrüße Jörg Drieselmann, den Leiter der Forschungs und Gedenkstätte "Nomannenstraße". Im Vorfeld dieses Chats haben wir uns auf ein allegemeines "Du" geeinigt. Wer's mag kann also duzen. ;)
Moderator: Herr Drieselmann, bevor wir mit den ersten Fragen anfangen, darf ich Sie bitten, sich uns kurz vorzustellen :)
Moderator: @combo: gute idee mit dem du, dann schwenke ich auch mal um *ggg*
Combo_(kdp): Um diesen Chat reibungslos über die Bühne zu bringen schlage ich vor die erste Stunde zu nutzen um Fragen zu beantworten die gestern von Herrn Krenz nicht oder falsch beantwortet wurden. Die zweite Stunde werden wir für Fragen zum Politischen System der "DDR" sowie der Funktion und Arbeitsweise des Ministeriums für Staatssicherheit zur Verfügung haben.
Combo_(kdp): Genau Fifi. Jörg, es tauchte die Frage nach Deiner Person, Deinem persönlichen Wertegang, und nach der Zielstellung und Arbeitsweise der "Normannenstraße" auf. Kannst Du vielleicht dazu einleitend ein paar Worte sagen?
Joerg_Drieselmann: Ich bin 48 Jahre alt und verheiratet. Ich wurde in Erfurt geboren, lebe aber schon seit vielen Jahren in Berlin. Seit 1990 arbeite ich hier in der Forschungs- und Gedenkstätte Normannenstraße. Das ist das Haus, in dem Erich Mielke als Stasi-Chef seinen Dienst versehen hat
Joerg_Drieselmann: Auf ganz unterschiedliche Weise setzen wir uns hier mit der Geschichte der SED-Diktatur in der DDR auseinander.
Moderator: wie bist du zu dieser arbeit gekommen, also was verbindet dich mit der stasi?
Combo_(kdp): Fifi, ich habe auch einen Sack voll Fragen. Jede 5. darf ich stellen, ok?:) Naja, ich streu ab und zu eine ein....
Joerg_Drieselmann: Ich war 1974 vom MfS verhaftet worden, weil ich mit Freunden Flugblätter unter die Leute gebracht hatte. Nach zwei Jahren Gefängnis wurde ich 1976 in den Westen verkauft. Dort habe ich dann Abitur gemacht und studiert.
Moderator: @combo, kannst du der übersicht wg. bitte noch eine andere farbe wählen !? danke :)
Moderator: was für forderungen haben sie auf den flugblättern verteilt?
Combo_(kdp): ok?
Moderator: besser, @combo :)
Joerg_Drieselmann: Wir setzten uns für die Freilassung eines Literaturnobelpreisträgers ein. Unser Pech war, daß er in der Sowjetunion eingesperrt war: Alexander Solchenizin.
Moderator: Frage von SebastianM an Jörg Drieselmann:    "was haben sie studiert?"
Joerg_Drieselmann: Germanistik und Publizistik an der FU Berlin.
Moderator: Frage von zigeuner an Jörg Drieselmann:    "Herr Drieselmann, verstehe ich das richtig, Sie beschäftigen sich also nicht nur mit der MfS Geschichte, sondern ihrer historischen Einbettung in die Politik der DDR unter Führung der SED ?? Ist das nicht starkes Abweichen von ursprünglichem Forschungsziel ??"
Joerg_Drieselmann: Das MfS war Schild und Schwert der Partei, also der SED. Wer über die Stasi reden will, muß auch über ihren Befehlsgeber, die SED, reden.
Moderator: Frage von zigeuner an Jörg Drieselmann:    "Wer bezahlt ihre Tätigkeit ?"
Moderator: bzw. wie finanziert sich ihre einrichtung?
Joerg_Drieselmann: Wir bekommen Projektmittel vom Berliner Landesbeauftragten für die Stasiunterlagen, von der Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur, wir erwirtschaften aber auch einen großen Teil unseres Geldes selbst.
Combo_(kdp): - Herr Krenz stritt im gestrigen Chat eine Verqickung der Stasi/"DDR"-Führung mit Neonazis und NS-Verbrechern ab, bezeichnete sie als "Märchen". Gab es die wirklich nicht?
Joerg_Drieselmann: Eines der wichtigsten Ziele der SED und damit des MfS war die Destabilisierung der Bundesrepublik. Bei der Auswahl der Verbündeten war man da nicht zimperlich. Beispielsweise wurde die DVU über lange Zeit sehr stark finanziell unterstützt.
Moderator: Frage von MeinerEiner an Jörg Drieselmann:    "Wie reagieren Sie auf Personen die den Terror der Stasi leugnen bzw. herunterspielen?"
Joerg_Drieselmann: Zuerst einmal, hat jeder das Recht auf eine eigene Meinung. Wenn solche Personen jedoch das Interesse haben, mehr Fakten zu erfahren, und wenn sie bereit sind, mit mir offen zu diskutieren, so sind sie mir herzlich willkommen.
Moderator: woher beziehen sie ihre fakten und informationen für ihre tätigkeit?
Combo_(kdp): Duuuu! ;)
Moderator: okok ;)
Combo_(kdp): Genossen duzen sich, hihi
Joerg_Drieselmann: Wir tragen in unserem Namen das Wort "Forschung". Auf vielfältige Weise recherchieren wir in Aktenmaterialien, z. B. aus der Birtler-Behörde oder aus dem SED-Archiv. Zudem gibt es eine Vielzahl wissenschaftlicher Veröffentlichungen zu diesen Themen.
Combo_(kdp): Was würden sie jemandem antworten der den MfS als ganz normalen Geheimdienst bezeichnet? Gibt es Unterschiede zum Verfassungsschutz?
Combo_(kdp): oops, Duuuu
Moderator: Frage von zigeuner an Jörg Drieselmann:    "Hatten Sie nach Ihrer unfreiwilligen (?) Übersiedlung in die BRD/WB Kontakte zu deren Geheimdiensten ?"
Joerg_Drieselmann: Also: die Stasi handelte ausschließlich auf Befehl der SED. Das Programm der Partei und die Beschlüsse des Politbüros wurden als wichtiger erachtet als die Verfassung der DDR und die Gesetze. Manchmal frage ich mich auch, wozu es einen Verfassungsschutz gibt. Ich weiß auch sehr wohl, daß seine Tätigkeit schon manches Problem mit sich gebracht hat. Immer aber unterlag der Verfassungsschutz der Kontrolle durch das Parlament und die freie Presse.
Combo_(kdp): @zigeuner, die hatte jeder der "rüber" kam. Jeder wurde von der CIA und dem VS befragt.
Combo_(kdp): die Frage von @ zigeuner... Jörg.
Joerg_Drieselmann: Ich bin nicht unfreiwillig übergesiedelt. Wäre ich in die DDR entlassen worden, hätte ich sogar für's Wasserlassen die Genehmigung der Volkspolizei einholen müssen. Und wer den DDR-Sozialismus von seiner charmantesten Seite kennengelernt hatte, hatte keinen Bock mehr da zu leben.
Moderator: Frage von zigeuner an Jörg Drieselmann:    "Aber, nach den Erfahrungen mit dem MfS sollte sich doch jederlei Auskunft an andere Organisationen gleicher Zielrichtung verbieten. "
Joerg_Drieselmann: CIA und VS waren keine Organisationen der SPD, um den Herrschaftsbereich Helmut Schmidts in dieser Welt auszudehnen.
Moderator: durch wenn wurde die übersiedlung bzw. das freikaufen initiiert?
Moderator: und: konntest du selber vom gefängnis aus dahingehend etwas "voranbringen" !?
Joerg_Drieselmann: Der Häftlingsfreikauf kam 1964 auf Initiative der SED-Führung in Gang. Von 1964 bis 1989 wurden rund 34000 Häftlinge verkauft.
Moderator: Frage von Atlanter an Jörg Drieselmann:    "Welche Art von Gewalt ging von der ddr-Staatsführung gegen die Bevölkerung aus und warum?"
Joerg_Drieselmann: Ich habe im Gefängnis einen Ausreiseantrag gestellt. Natürlich habe ich nicht geglaubt, daß der von Inneres bearbeitet wird. Er war nur ein Signal an die Stasi: Ich will raus!
Moderator: hätte als antwort auf einen solchen antrag nicht auch eine längere haft oder schlechtere behandlung folgen können?
Combo_(kdp): Zur Erklärung: "Inneres" war die Abt. Inneres des Rates des Kreises der für Ausreiseanträge zuständig war.
Joerg_Drieselmann: Die SED-Führung hatte einen allgemeinen Erziehungsanspruch gegenüber der gesamten Bevölkerung. Jeder und Jede sollte eine sozialistische Persönlichkeit werden. Wer darauf keinen Bock hatte oder nicht überzeugend genug so tat als ob, wurde unter Druck gesetzt oder bestraft. Oder mit anderen Worten: brave DDR-Bürger, die sich diszipliniert ins Kollektiv einordneten wurden belohnt, alle anderen hatten ein Problem. Aber mitspielen mußte Jeder.
Joerg_Drieselmann: Was verstehst Du, Atlanter, unter Gewalt? Wir waren in ein etwas größer geratenes Gefängnis geboren.
Combo_(kdp): Die "DDR" definierte sich gern als antimilitaristisch. Wie sah das in der Realität aus?. (Militärkundeunterricht in den Schulen, vormilitärische Ausbildung als Anhang bei allen Berufsausbildungen, Kampfgruppen in den Betrieben
Moderator: Frage von übrigens an Jörg Drieselmann:    "in welchem jahr war das mit dem flugblatt zur freilassung von solschenyzin? "
Moderator: @übrigens: 1974.
Joerg_Drieselmann: Danke!
Moderator: Frage von zigeuner an Jörg Drieselmann:    "Ich bin auch nicht gerade geslbt worden in der DDR, dennoch habe ich eine grundsätzliche positive Beziehung zu ihr. Halten Sie DDR Bürger, die länger als ihre Verweildauer dort lebten und glücklich waren für Lügner ?"
Moderator: Frage von übrigens an Jörg Drieselmann:    "danke"
Moderator: Frage von Atlanter an Jörg Drieselmann:    "ich meine die alltägliche Gewalt und Denunzierung , welche Represalien gab es, wenn einer das Spiel der sed-Bonzen nicht mitspielte "
Joerg_Drieselmann: Gerechte Kriege sind Kriege, die dem gesellschaftlichen Fortschritt dienen. Nach Lenin waren zu diesem Zweck auch Angriffskriege erlaubt. Das offensive Denken der SED-Führung führte zu einer Militarisierung des gesamten Lebens in der DDR. Combo hat Recht: Man konnte keinen Beruf lernen, keine Schule besuchen oder Studieren, ohne auch militärisch an der Waffe ausgebildet zu werden. Pazifisten waren raus.
Joerg_Drieselmann: Wir müssen unterscheiden zwischen Individual- und Systemgeschichte. In der DDR verliebt gewesen zu sein sagt noch nichts über die Folter in ihren Gefängnissen. Beides gleichzeitig ging.
Joerg_Drieselmann: Lieber Atlanter, ein chat ist denke ich für so ausführliche Darstellungen, wie Deine Frage sie nötig machte, ungeeignet.
Moderator: Frage von JuliaCure an Jörg Drieselmann:    "meine erfahrungen mit bürgern der ehemaligen ddr zeigen, dass es mehr als schwarz-weiss gab. man konnte auch sein leben leben ohne das gefühl zu haben vom staat bespitzelt oder eingeengt zu werden. wenn sie sagen man musste sich diszipliniert dem kollektiv unterordnen oder es gab probleme, ist das nicht vollkommen richtig. damit möchte ich natürlich nicht negieren, dass es die von ihnen genannten fälle in einer großen zahl gab. ich würde mir trotzdem wünschen, dass das "normale" leben nicht vergessen wird - gerade wenn man sendungen im fernsehen betrachtet, sind sie entweder "ostalgisch" oder vollkommen negativ überzeichnet. ich halte beides nicht für richtig. "
Joerg_Drieselmann: Es geht natürlich nicht um negative Überzeichnung. Aber um im Bild zu bleiben, schwarz muß schwarz und weiß muß weiß genannt werden. Über Meinungen kann man streiten, über Fakten nicht.
Moderator: Frage von Akill an Jörg Drieselmann:    "Wie wurden in der SED allgemein Beschlüsse gefasst? Wer war in Entscheidungsprozesse involviert?"
Moderator: Frage von JuliaCure an Jörg Drieselmann:    "gut, damit kann ich leben :-)"
Joerg_Drieselmann: Vielleicht sagt Euch der Begriff "Demokratischer Zentralismus" etwas. Von unten, der SED-Basis aus, konnte, der Parteilinie folgend, vorgeschlagen werden. Die Entscheidungen fielen im Politbüro, den Bezirksleitungen und den Kreisleitungen.
Moderator: Frage von MeinerEiner an Jörg Drieselmann:    "Sehen Sie auch das Problem, dass viele junge Leute zum Beispiel in der schule nur unzureichend über die Geschichte der DDR aufgeklärt werden?"
Combo_(kdp): Dazu paßt diese Frage vielleicht: Viele junge PDSler verklären heute die SED und mit ihr die "DDR". Sie tun das teilweise aus unwissenheit der wirklichen Verhältnisse in der "DDR", teils aus Sehnsucht nach einer besseren Welt. Wie schaffen es die Altkader der SED diese Leute über ihre wirklichen Ziele und Absichten im Unklaren zu lassen?
Joerg_Drieselmann: Ich bin mit Schulunterricht im Allgemeinen unzufrieden, weil viel zu selten zu selbständigem Denken und freiheitlichem Handeln aufgefordert wird. Wohin Unterdrückung führt, kann an manchem historischen Beispiel erläutert werden. Die SED-Diktatur war eine moderne totalitäre Diktatur, die sich modernster Mittel bediente. Das Wissen darum, könnte also nicht nur totes Wissen sein, sondern wäre auch Information für Freiheit.
Moderator: Frage von zigeuner an Jörg Drieselmann:    "Herr Drieselmann, ist dieses "Forschen" nicht persönliches Nachspionieren, wenn auch im Umfang minder, doch in den Auswirkungen genau so verwerflich ? Seit der Wende spricht man von über 1.000 Selbstmorden durch ihre Veröffentlichungen .."
Joerg_Drieselmann: Zusatz: Hierher zu uns kommen im Jahr fast 1.500 Besuchergruppen, die weit aus meisten sind Schüler, Azubis, Studenten.
Moderator: Frage von testero an Jörg Drieselmann:    "Ist eigentlich bezifferbar, wieviele Todesopfer die Stasi direkt zu verantworten hat?"
Joerg_Drieselmann: An zigeuner: ich weiß nicht, wer "man" ist. Daß manchem Gefängnisaufseher mit der Schließung der Zuchthäuser die berufliche Perspektive abhanden gekommen ist und er daraus eine falsche Konsequenz zieht, mag so gewesen sein. Es wäre aber nie für jemanden zu spät gewesen ein anständiger Mensch zu werden. Ein reuiger Sünder ist dem Herrn lieber denn 99 Gerechte.
Joerg_Drieselmann: Es wäre aus meiner Sicht falsch, Terror nur an Todesopfern zu messen. Diese Sicht ist mir zu einfach gestrickt. Aber um Deine Frage zu beantworten, die Zahl de Toten, die auf das Konto der Stasi gehen, ist nicht zu beziffern. Über Mordanschläge wurden nur in den frühen Jahren Akten angefertigt. Ich empfehle aber das Buch von Thomas Auerbach "Einsatzkommandos an der unsichtbaren Front".
Moderator: Frage von übrigens an Jörg Drieselmann:    "warum hat die stasi 1989 nicht auf die demonstranten geschossen? menschenliebe? angst? oder waren zu viele eigene leute drunter?"
Combo_(kdp): Bitte meine Frage noch die wohl übersehen wurde... Viele junge PDSler verklären heute die SED und mit ihr die "DDR". Sie tun das teilweise aus Unwissenheit der wirklichen Verhältnisse in der "DDR", teils aus Sehnsucht nach einer besseren Welt. Wie schaffen es die Altkader der SED diese Leute über ihre wirklichen Ziele und Absichten im Unklaren zu lassen?
Joerg_Drieselmann: Niemand wußte so genau wie die Stasi, daß die DDR am Ende war, insbesondere wirtschaftlich. Wäre man mit Gewalt gegen die Demonstranten vorgegangen, hätte man einen Bürgerkrieg mit Toten auf beiden Seiten riskiert. Statt heute die eigenen Toten beweinen zu müssen, vergießen Stasimitarbeiter Tränen über ihre zu niedrigen Renten. Sie haben das Jahr 1989 weitgehend ungeschoren überstanden.
Moderator: Frage von Utsch an Jörg Drieselmann:    "Haben Sie Erkenntnisse über die Höhe des SED `Barvermögens und was glauben Sie, ist damit geschehen"
Joerg_Drieselmann: An Combo: Ich verstehe auch nicht, was junge, intelligente, idealistische Leute in der PDS wollen. Wer Freiheit, Emanzipation, Frieden und Gerechtigkeit will, ist in dieser Partei, die mehrheitlich von Altmilitärs, Volkspolizisten und Stasi-Mitarbeitern bestimmt wird, ganz sicher an der falschen Stelle. Ich weiß, daß in manchem Ortsverein der PDS versucht wird, die idealistischen Studenten möglichst von den Altkadern getrennt zu halten. Aber ganz abgesehen davon: Die totalitäre Versuchung ist stark und überwindet spielend historische Erfahrungen.
Joerg_Drieselmann: An Utsch: Diese Frage mußt Du Gregor Gysi, dem damaligen Vorsitzenden der SED/PDS stellen.
Moderator: Frage von Akill an Jörg Drieselmann:    "Wie sah ein gerichtsverfahren in der DDR aus? Gab es überhaupt Möglichkeiten sich zu verteidigen?"
Joerg_Drieselmann: An Akill: Recht ist, was uns nutzt! Das sagte die frühere Justizministerin der DDR, Hilde Benjamin. Als Angeklagter in einem politischen Verfahren hätte ich mich verteidigen können. Es hätte nur nichts genützt, denn Richter, Staatsanwalt und Verteidiger waren Organe der "Sozialistischen Rechtspflege".
Joerg_Drieselmann: An Akill: Noch eine Buchempfehlung für Dich: Jürgen Fuchs "Gedächtnisprotokolle" und "Vernehmungsprotokolle", Karl-Wilhelm Fricke "Politik und Justiz in der DDR"
Moderator: Frage von Miles an Jörg Drieselmann:    "auch wenn ich den Vergleich persönlich nicht mag, er wird immer wieder gebracht. wenn sie ihn ziehen sollten: wie unterscheiden oder gleichen sich die Diktaturen in Deutschland 1933-45 und die 1949-89?"
Joerg_Drieselmann: Wissenschafticher sind ständig am vergleichen. Vergleichen bedeutet nicht gleichsetzen. Auch Politikwissenschaftler vergleichen politische Systeme. Es ist also keine Schande.
Moderator: und wie würden sie den vergleich bewerten?
Moderator: eben 2 zwischenbemerkungen zu weiter oben:
Moderator: Frage von Flocki an Jörg Drieselmann:    "@Übrigens Hätten sie denn schießen sollen? ;)"
Moderator: Frage von übrigens an Jörg Drieselmann:    "Gregor Gysi hat die Frage letztes Jahr in einem Chat bei dol2day beantwortet: http://www.dol2day.com/index.php3?position=5600&transkript=gysi04082003"
Joerg_Drieselmann: Was in der Diskussion um NS- und SED-Diktatur gerne außer Acht gelassen wird, ist, daß auch in der DDR Antisemitismus und Ausländerfeindlichkeit Staatspolitik waren. Ich erinnere nur an den Abtreibungszwang für ausländische Arbeiterinnen (Vietnamesinnen). Ließen sie nicht abtreiben, wurden sie abgeschoben.
Combo_(kdp): @arne sollen wir jetzt warten bis Jörg Drieselmann den Chat mit Gysi gelesen hat? ;) Der Link ist für die Katz.
Moderator: Frage von Honest_Abe an Jörg Drieselmann:    "Wie genau liefen eigentlich die "Wahlen" in der DDR ab ? Es gab ja immer diese 90 X % Zustimmung. Was musste man auf sich nehmen um zu den wenigen Nicht-Zustimmern zu gehören (bzw. was hatte man dann zu erwarten) ?"
Joerg_Drieselmann: Es gab die Kandidatenliste der Nationalen Front (!). Wer einen Kandidaten von dieser Liste nicht wollte, mußte ihn streichen. Erst wenn mehr als die Hälfte der Wähler diesen Kandidaten gestrichen hatten, war er nicht gewählt. Da man keine eigene Wahlwerbung betreiben durfte (staatfeindliche Hetze), war das ausgeschlossen. Die Stimme wurde üblicherweise offen abgegeben (wer die offene Stimmabgabe kennengelernt hat, weiß den Zwang zur geheimen Wahl zu schätzen). Nicht zur Wahl zu gehen wurde zur Kenntnis genommen und konnte sich bei passender Gelegenheit (berufliche Karriere) auswirken. Die SED-Führung war ohnehin an der tatsächlichen Stimmung in der Bevölkerung und an echten Wahlergebnissen nicht interessiert.
Moderator: Frage von MeinerEiner an Jörg Drieselmann:    "Haben Sie Verwandte oder Freunde die Sie damals bespitzelt haben, wenn ja: Haben Sie heute zu diesen Kontakt bzw. haben Sie versucht den Kontakt aufzunehmen?"
Joerg_Drieselmann: Ein sehr guter Freund hat damals dafür gesorgt, daß ich verhaftet wurde. Ich habe nie versucht zu ihm Kontakt aufzunehmen. Durch meine Arbeit habe ich aber häufig Kontakt mit ehemaligen hauptamtlichen und inoffiziellen Mitarbeitern des MfS, SED-Funktionären und sonstigen Systemstützen.
Moderator: Frage von MeinerEiner an Jörg Drieselmann:    "SORYY Moderator von denen Sie bespitzelt wurden wäre wohl besser gewesen bitte stell das mal klar!!!"
Moderator: @meinerEiner, scheint wohl richtig verstanden worden zu sein ;)
Moderator: Frage von übrigens an Jörg Drieselmann:    "und antisemismus? wieso konnten dort dann menschen jüdischer herkunft in der DDR in gehobene funktionen gelangen? horst brie war botschafter, klaus gysi minister..."
Combo_(kdp): Gab es Pläne die Bundesrepublik militärisch zu überrennen, sprich gab es offizielle oder inoffizielle Angriffspläne der SED-Führung? Es ist ja sogar von schon gedrucktem Geld für die Besatzungszone BRD die Rede.
Joerg_Drieselmann: Was vielleicht noch interessant ist: Mein Bruder war 1982 als IM verpflichtet worden, um mich zu bespitzeln. Im Unterschied zu vielen anderen IMs hat er es mir aber damals bei der nächsten Gelegenheit offenbart. Wir haben dann gemeinsam seine Berichte an den Führungsoffizier verfaßt.
Joerg_Drieselmann: An übrigens: Was vestehst Du unter jüdischer Herkunft? Ich kenne diesen Begriff nur aus dem Wörterbuch des Unmenschen. Die genannten Funktionäre waren selbstverständlich, wie es sich für Marxisten-Leninisten gehörte, Atheisten.
Moderator: Frage von zigeuner an Jörg Drieselmann:    "Herr Drieselmann, dann haben Sie ja sogar freiwillig Berichte an das MfS geliefert zum ausschließlichen Nutzen für Ihre Person ? "
Moderator: Frage von übrigens an Jörg Drieselmann:    "Antisemitismus ist Rassismus und bezieht sich auf alle Menschen jüdischer Herkunft, egal ob sie konvertiert, oder fromm oder Atheisten sind. Das was du vielleicht meinst, nennt sich dann Antijudaismus"
Joerg_Drieselmann: An zigeuner: Du hast Recht! Da sieht man, wie verrückt das Leben ist!
Moderator: jörg, combo hatte oben noch gefragt, ob es pläne gab, die bundesrepublik militärisch zu überrennen.
Moderator: kannst du uns evtl. dazu etwas sagen?
Joerg_Drieselmann: An Combo: An einem großen Diarama übte die NVA-Spitze in Strausberg regelmäßig die Besetzung der Bundesrepublik. Dieses Diarama ist der Nachwelt erhalten geblieben, nur leider gerade eingemottet. Ich verweise nochmal auf das schon früher empfohlene Buch von Thomas Auerbach.
Moderator: Frage von skintom an Jörg Drieselmann:    "Herr Drieselmann, wie stehen Sie zu einer Erforschung von BND, MAD, etc aus der Ziet des Kalten Krieges. Müssten diese Akten nicht auch endlich der Öffentlichkeit ähnlich zugänglich gemacht werden um die dortigen Schweinereien aufzuklären ?"
Joerg_Drieselmann: Erich Honecker hatte 1979 auf einer Tagung von Kreissekretären der SED erklärt, wenn der Sozialismus eines Tages an die Tür der Bundesrepublik klopte, stelle sich für die SED die Frage der Wiedervereinigung Deutschlands neu.
Joerg_Drieselmann: An skintom: Ich hatte früher schon einmal geschrieben, daß ich mir sicher bin, daß die genannten Dienste wirkungsvoll durch Bundestag und Öffentlichkeit kontrolliert werden. Die bisher bekannt gewordenen Skandale sind doch ein guter Hinweis darauf, daß diese Kontrolle funktioniert.
Moderator: Frage von zigeuner an Jörg Drieselmann:    "Sollen jetzt militärische Planspiele etwa den aggressiven Charakter der DDR beweisen ? Ich bitte Sie, Herr Drieselmann, das ist doch nicht Ihr ernst ..."
Moderator: Frage von Atlanter an Jörg Drieselmann:    "War die ddr-Armee, die NVA in kriegerische Auseinandersetzungen verwickelt?"
Combo_(kdp): Ein kleines Angebot des Hauses ;) Für alle Fragen die übrig geblieben sind, schickt sie per Mail an mich oder an fifi. Wir leiten sie dann an Jörg weiter und innerhalb einer Woche werden die Antworten dann im offenem Forum gepostet. (Das Einverständnis von Jörg vorausgesetzt)
Joerg_Drieselmann: An Atlanter: Herr Krenz hatte gestern vollkommen Recht. Die NVA war 1968 in Bereitstellungsräume gerückt, ohne direkt an der Niederschlagung des Prager Frühlings teilzunehmen (das MfS war in Prag und leistete umfangreiche "brüderliche Hilfe").
Moderator: Frage von skintom an Jörg Drieselmann:    "herr Drieselmann, die KOntrolle des MfS durch die Partei hat auch funktioniert !"
Moderator: Frage von zigeuner an Jörg Drieselmann:    "Wie kann man nur sicher der "Sicherheit" von Geheimen sein ? Absurd !"
Joerg_Drieselmann: Natürlich bin ich gerne bereit, alle verbliebenen Fragen zu erörtern. So ein chat ist einfach nicht das richtige Medium, um ausführlich und detailliert auf komplizierte Fragen zu antworten.
Moderator: so, die 2 stunden sind bereits zu ende und daher mag ich auch gerne zum schluss des heutigen chats kommen.
Joerg_Drieselmann: An skintom und zigeuner: Ich hoffe, daß ihr zwei irgendwann einmal so nachdrücklich für die Freiheit eintretet, wie ihr es heute für die Diktatur tut.
Moderator: Ich darf mich bei Jörg Drieselmann herzlich bedanken, das er uns 2 Stunden hier zur Verfügung stand. Einige Themen konnten angesprochen werden, aber es stimmt natürlich, dass man dieses Thema nicht in der Gänze in 2 Stunden besprechen kann.
: rol hat den Raum betreten
: rol hat den Raum verlassen
Joerg_Drieselmann: Ich danke noch einmal allen, die heute mit mir gechatet haben. Das Problem von Diktatur und Freiheit ist ein gegenwärtiges. Es lohnt sich, sich damit immer wieder zu beschäftigen.
Moderator: Danken darf ich auch Combo, dass er uns den Chat organisiert hat und natürlich auch den Zuschauern, die sich rege an der Diskussion beteiligt haben. Ich habe derzeit noch eine Handvoll offener Fragen hier vorliegen, die ich gerne noch an Herrn Drieselmann weiterreiche :)
Combo_(kdp): Die Zeit rast und ich bin nur die Hälfte meiner Fragen los geworden. ;) Dank an Jörg und fifi für die Moderation. für
Moderator: aber natürlich per Mail :)
: Joerg_Drieselmann hat den Raum verlassen
: serial2k_(psa) hat den Raum betreten
Combo_(kdp): Nacht Kinder. ;)
: Combo_(kdp) hat den Raum verlassen
Moderator: dann wünsch ich auch mal einen schönen abend und bis bald!
: Verändert_(sii) hat den Raum betreten