Hinweis für Gäste
Um an den Diskussionen teilnehmen zu können, musst Du angemeldet sein.
Hier geht es zur Anmeldung.
Noch kein Mitglied? Starte hier!.
Fragenübersicht Glaubst Du, dass wirklich so wenige Menschen vom Holocaust gewusst haben?
1 - 17 / 17 Meinungen
27.01.2021 09:40 Uhr
Bezüglich welches Zeitraums soll hier diskutiert werden?
27.01.2021 09:42 Uhr
Zitat:
Bezüglich welches Zeitraums soll hier diskutiert werden?


Ich glaube aus dem Kontext der Umfrage zu lesen, dass es um die Zeitzeugen geht, also die Generation, die bewusst die NS-Herrschaft mitgemacht hat.

Bezogen auf diese Gruppe, glaube ich das Scham, Reue und auch innere Einstellung verhindert haben, dass viele Menschen ihr "wirkliches Wissen" um die Greueltaten auch zugaben.
27.01.2021 09:43 Uhr
Zitat:
Bezüglich welches Zeitraums soll hier diskutiert werden?


Ich denke, Du kannst hier den gesamten Rahmen des 3. Reiches hernehmen. Die Judenverfolgungen beginnen schon 1933 mit den Beamtengesetzen. Das bei der Ausgrenzung, geht über die räumliche Segregation und endet mit der Ermordung.
27.01.2021 09:52 Uhr
Ich vermute, dass die meisten Menschen in Deutschland sich das Ausmaß des Völkermordes nicht haben vorstellen können. Selbst wenn sie Berichte von Wehrmachtssoldaten hörten, die von massenhaften Erschießungen berichteten oder die gewaltigen Transporte von jüdischen Deportierten mitbekamen, die z.B. vom Hamburger Stadtzentrum am Dammtorbahnhof Richtung Osten gestartet sind.

Ein Zeitgenosse, Hermann Rauschning, brachte es auf die Formel: "Was geht es uns an? Seht weg, wenn euch graust. Es ist nicht unser Schicksal."

Der Grundfehler in der geistigen Entwicklung der deutschen Nation war das, was Ralph Giordano auf die Formel gebracht hatte "Verlust der humanen Orientierung". Und Philipp Jenninger hat den in der deutschen Bevölkerung latenten Antisemitismus in seiner verunglückten Rede 1988 so beschrieben: "Hatten sie (die Juden) es nicht vielleicht sogar verdient, in ihre Schranken gewiesen zu werden?"

Wir haben es mit einem kollektiven Versagen der deutschen Gesellschaft zu tun: Angeführt von Verbrechern wurden die meisten Deutschen zu Komplizen, Mitwissern, stillen Billigern oder zu Ignoranten eines Jahrhundertverbrechens.

Diese Meinung wurde zuletzt geändert am 27.01.2021 10:01 Uhr. Frühere Versionen ansehen
27.01.2021 09:52 Uhr
Ich gehe davon aus, dass es den meisten Menschen egal war und sie eher mit ihrem eigenen Lebensumfeld beschäftigt waren, als dass sie sich über ihre entfernten Mitmenschen große Gedanken gemacht haben.


Selbst in Nachkriegsdeutschland, wurde diese industrielle Massenvernichtung erst Jahrzehnte später, im vollen Umfang, aufgearbeitet.
27.01.2021 09:53 Uhr
Die Frage beginnt bei mir damit, dass man wohl kaum das Verschwinden von jüdischen Nachbarn in Städten so einfach nicht mitbekommt.

Vor allem dann, wenn diese Verschickungen relativ offen geschehen. In Wien wurden die Juden auf offenen LKWs aus den Judenhäusern verschickt und die Passanten verhöhnten sie und teilten ihnen mit, dass es nun vorbei ist, mit dem berühmten Gurgelschnittfinger. Wissen war das vllt. keines, aber zumindest zeigt es, es bekamen Leute mit, dass hier Leute abgeholt wurden, es bekamen Leute mit, dass hier Leute verschwanden.

Zudem wurden in den Amtsblättern die Abmeldung der Juden gemeldet. Wenn da Züge mit 1000 Leuten verschwinden, dann denkt man sich was. Amtsblatt mit 1000 weggezogenen Sarahs und Israels.

Die Bahn musste dies auch logistisch bewältigen. Das ging über die Buchung der Reisen. Das waren eingeschobene Züge, die als Gruppenreisen gebucht waren. Das ging laut Raul Hilberg sogar über Reisebüros. Die Mitwisserschaft ist da nicht gering.

Da sind wir erst bei den Randbeteiligten.

Ich weiß, dass ein Bekannter von mir, den ich auf einer Reise kennen lernte, wohl heute schon Verstorben, einen Zug stehen sah, als er an die Front fuhr. Es war ein Zug voller Juden. Das war 1942 irgendwo im ehemaligen östlichen Polen (heute wohl Weißrussland oder Ukraine).

Er war wohl nicht der Einzige. Die Eisenbahner, welche die Züge einfuhren und auch wieder als Leerzug zurückführen. Es fuhren immer nur Leerzüge zurück.

Diese Zugpläne sind den Mitarbeitern der Eisenbahn in den Gebieten bekannt.

Schweigt auch jeder dieser Zeugen. Erzählt keiner was zu Hause.

Dann fällt mir noch ein, dass ich gelesen habe, dass die Leute in Köln 1942 meinten, die Bombardierung wäre eine Rache für das was wir den Juden angetan haben. Gleiches vernimmt man aus Hamburg 1943.

Die Soldaten im Osten bekamen auch die Erschießungen mit, die den Lagern ab Sommer 1941 vorausgingen.

Die Ghettos im Osten. Das bekam man wohl auch mit. Da bekamen auch einige mit, wie es dort zuging.

Wer Schwarz hörte und das waren wohl nicht so wenige, wie man denkt, der hörte wohl auch Andeutungen und manches direkte über BBC.

Man konnte es wohl nicht fassen, wenn man Berichte vom Widerstand oder von geflüchteten Häftlingen oder Kurieren bekam, aber dennoch wurde da und dort was gemeldet.

Ich denke die Zahl der Wissenden aufgrund der Zeugen, die dann doch im intimen Kreis sprachen, war wohl höher als über Jahrzehnte zugegeben.

27.01.2021 09:58 Uhr
Von den konkreten Umständen werden vermutlich nicht zu viele Menschen gewusst haben. Das muss aber auch nicht sein.

Es reicht dass wohl sehr viele Menschen angesichts deutlicher Hinweise auf eine fatale Entwicklung zumindest ahnen mussten, dass größtes Unheil geschieht. Die jüdischen Mitschüler aus der Schulklasse mit einem Mal alle weg. Komisch, oder? Die Nachbarswohnung der jüdischen Familie plötzlich und ohne Grund freigeworden. Komisch, oder? Die Menschen, die zuvor Judenstern tragen mussten, werden immer weniger. Komisch, oder? Emigration wohl kaum möglich angesichts der Lage in Europa.

Mindestens geahnt haben es wohl sehr viele Menschen, dass man eine solche Ahnung nicht weiter ausbuchstabiert hat ist nur zu menschlich, das große Schweigen in der Zeit nach dem zweiten Weltkrieg deutet für mich aber schon auf mangelnde Courage und den fehlenden Willen hin, zu reflektieren, wie es eigentlich zum schlimmsten Menschheitsverbrechen kommen konnte.
27.01.2021 10:13 Uhr
@D.Vader

Das fängt systematisch und langsam 1933 an. Mit den Gesetzen zum Beamtentum (mit den Optionen zur Entlassung) und der systematischen beruflichen Einengung. Da wird langsam und systematisch die Schraube angedreht.

Dann kommen die Nürnberger Gesetze von 1935 mit einer Staatsbürgerschaftslösung, die nie wirklich ausformuliert wurde, aber in Folge eine Entrechtung bringt. Reichsbürger und einfache Staatsangehörige (Juden).

Da dreht man an der Schraube. Langsam und behutsam. Das was nach dem Attentat von Paris kam, war zu diesem Zeitpunkt bereits fertig. Es ging schon im Oktober los. Grynszpan hat nur einen Anlass geliefert mit dem Attentat auf Rath.

Die Entfernung aus den Schulen, die Entfernung aus den Ämtern, die Arisierung von Wohnungen und Geschäften.

Das waren schon Prozesse, die als Vorläufer liefen.

Dann kam der Krieg und da ging es erstmal in Polen mit der Ghettoisierung los und auch im damaligen Warthegau/Westpreußen.

Da kamen auch die ersten Einsatzgruppen gegen Polen und Juden zum Einsatz.

Da gab es auch noch Beschwerden der Wehrmacht. Die gingen ins Leere. Auch das muss man leider sagen.

Später hat dann keiner mehr was gesagt.

Bevor der erste Zug nach Osten in die Ghettos und Lager rollten, war schon ein gewaltiger Entrechtungsprozess am Laufen gewesen.
27.01.2021 10:22 Uhr
@ Rakousko danke für die Ergänzungen, man sieht, es gab etliche Handlungen und Entwicklungen die es den meisten Menschen möglich gemacht haben aus verschiedenen Anhaltspunkten eine Linie zu machen, danach also zu sagen man hat doch nichts gewusst oder nicht mal geahnt erscheint recht unrealistisch.

27.01.2021 11:59 Uhr
Viele haben mitgemacht - Leute wie du und ich - die haben es garantiert gewusst. Wenige haben nicht mitgemacht, die haben es auch gewusst.
27.01.2021 12:35 Uhr
Die vollkommen unpolitischen Eltern meiner Oma, 1933 Mitte bis Ende 30, haben es gewusst.

Im Haus wohnte eine jüdische Familie und die wurden bei Nacht und Nebel weggeholt.

Es zogen dann Nazis in die frei gewordene Wohnung und die grüßte man natürlich freundlich aber sie gehörten nicht zum Kreis der Nachbarn, die sich gelegentlich zum Kaffee trafen.

Was meine Urgroßeltern nicht wussten war wohin genau die Juden verschleppt worden sind und was dort passiert ist.
Sie waren aber 1945 nicht sehr erstaunt als alles ans Licht kam.

Von daher gehe ich davon aus, dass es fast alle erwachsenen Deutschen wussten.

27.01.2021 12:50 Uhr
Das viele vom Holocaust nichts gewusst haben ja. Allerdings kann es ihnen nicht entgangen sein, das sich der Terror der Nazis gegen Kommunisten, Sozialdemokraten, auch kleine Kapitalisten, eben alle die mit dieser Art Politik als Fortsetzung mit anderen Mitteln nicht mitgeschwommen sind richtete und ja auch die engen Nachbarn gesehen haben mussten das ständig Juden verschwanden. Es ist natürlich schwer nachzuvollziehen ob diese wirklich auf´s Land gebracht wurden wie es behauptet wurde. Viele hatten verständlicherweise Angst, so wie auch Kommunisten in den Nazipartei eingetreten sind, um nicht verfolgt zu werden. Die Logik dahinter war Augen zu und durch, bei den Funktionären mehr als bei den kleinen Lohnabhängigen, nur wird auch diese Logik in der Zukunft wieder krachend scheitern.
27.01.2021 13:00 Uhr
Zitat:
Viele haben mitgemacht - Leute wie du und ich - die haben es garantiert gewusst. Wenige haben nicht mitgemacht, die haben es auch gewusst.


Ich erinnere mich gern an einen Vorzeigewiderstandskämpfer, der weder andere Leute verraten hatte, wofür ihn die SA zwei Jahre lang festhielt und so grün und blau schlug, dass es keinen Fleck an seinem Körper unversehrt ließ und später dann noch 6 Jahren von der Stasi eingeknastet wurde, die die Kämpfer aushungern wollten. Wenn ich recht erinnere hatte er in der gesamten Kriegszeit gearbeitet und war deshalb so gefragt, weil er ein guter Facharbeiter war. Er hatte auch einfach unglaublich viel Glück und in seiner Frau eine soziale Stütze. Ich erinnere mich gern an die Terroraktiviäten nicht nur gegen Frauen der inzwischen verrotteten Roten Armee. Da kamen dann zwei Soldaten in seine Wohnung, sahen ein großes Bild von Lenin und der eine sagte zum anderen: "Hier ist Lenin zu Hause, komm wir gehen." Und sie drehten sich um und gingen. Zu sagen der Terror der Roten Armee ist durch nichts zu rechtfertigen ist leicht, wenn man nicht durch die Hölle geht, in einem Land das von den Nazibanden überfallen, wo hunderte Dörfer niedergebrannt und die Frauen massenhaft vergewaltigt und umgebracht wurden. Das sich da Hass und differnzierungslose Verachtung breitsetzt ist verständlich.
In diesem Sinne: Rest in Peace, Oskar Hippe.
27.01.2021 20:38 Uhr
Ich denke das ist eine Frage von gewusst haben wollen.

Man muss sich in die Situation hineinversetzen. Vielleicht wurde man 1929 in der Krise arbeitslos, und dann, nach 1933 ging alles wieder besser, man hatte Lohn und Brot und die ramponierte nationale Identität wurde auch wieder aufgebaut. Auch wenn man dann kein Antisemit ist und diesen Punkt am NS-Programm eher abstoßend findet, was kümmert es, Hauptsache man ist erstmal aus der Armut raus. Und jedes Mal wenn es Hinweise gibt, schaltet man auf Durchzug.
27.01.2021 21:47 Uhr
Je weiter diese Tragödie in die Vergangenheit fällt, desto schwieriger wird es für die nächsten Generation Mitgefühl zeigen. Als 40+ jähriger habe ich in meiner Jugend mit vielen Personen gesprochen die damals gelebt und gelitten haben. Diese Erfahrung wird die jetzige Jugend nicht mehr haben.
27.01.2021 22:24 Uhr
Man kann aus der heutigen Sicht kaum einschätzen, wie das damals war. Auch wenn ganz viele an der Todesmaschinerie mitbeteiligt waren: Wieviele haben außerhalb der Arbeit darüber erzählt?

Wieviele Menschen waren den Regierenden gegenüber eher positiv gesinnt und glaubten gerne, was man ihnen im Radio erzählt hat?
Wieviele waren kritisch, aber die Gerüchte um Holocaust erschienen ihnen einfach zu abstrus?
Und wieviele hatten was vermutet, aber es nicht genauer wissen wollen? Weil man dann, wenn man es wüßte, irgendwas hätte tun müssen, was aber einen selbst in Gefahr bringen könnte?

Übrigens haben es Briten und Amis auch nicht wissen wollen, der polnische Diplomat Jan Karski hat 1942-43 i London und Washington über Vernichtungslager berichtet, es wurde dort nichts unternommen.
27.01.2021 23:09 Uhr
Naja es wussten sicher nicht alle aber das es vermeintlich nur ganz wenige wussten glaube ich nicht.
  GRUENE   IDL   SII, KSP   FPi
  CKP, KDP   UNION   NIP   PsA
  LPP   Volk, Sonstige
Fragenübersicht
1 - 17 / 17 Meinungen