Thema: Kapitalismus, das ideologische MonsterNeuer Beitrag
Von: Compadre (Maduro) Das Volk 02.02.2019 16:14 Uhr
"Kapitalismus, das ideologische Monster

Gedanken über eine Religion des abstrakten Bewertens und über die ideelle Zementierung archaischer Konkurrenz

Tiere geraten bei Nahrungsmangel in Konkurrenz. Bei Wolfsrudeln mit Jungtieren, die wegen Platzmangels nicht abwandern und eigene Rudel gründen können, verschärfen sich Hierarchien. Eindringlinge werden eher bekämpft und getötet, während bei Nahrungsüberfluss häufig bereits abgewanderte Jungwölfe ohne eigenes Rudel ein- oder mehrmals vorübergehend zurückkehren und dann auch aufgenommen werden.

Objektiv betrachtet hat es der Mensch spätestens mit Beginn des 21. Jahrhunderts geschafft, so viel zu produzieren, um geschätzt zwölf Mrd. Menschen mit allem Notwendigen zu versorgen, und dies, theoretisch!, mit nachhaltigen Mitteln. So etwa schätzen es jedenfalls verschiedene Forscher.

Unabhängig davon ist der Mensch theoretisch nicht erst seit gestern geistig in der Lage, abstrakt größere gesellschaftliche Dimensionen und Zusammenhänge zu erfassen und etwa gezielt in größerem Rahmen so zu planen, dass auch große Gesellschaften gut miteinander leben können – unter Einbringung ihrer individuellen Fähigkeiten und Stärken mit dem Ziel, die Lebensqualität für alle stets zu verbessern. Er ist also zur kooperativen Zusammenarbeit zugunsten der planetaren Menschengesellschaft fähig. Computer könnten ihm im besonderen Maße dabei helfen. Er tut es nur nicht.

Hier kommt das Kapital ins Spiel. Kapital ist nur in seiner Bewegung zu verstehen: Ein Vermögender nimmt Geld, kauft Produktionsmittel und Arbeitskraft von Besitzlosen, die dazu gezwungen sind, ihre Arbeitskraft zu verkaufen, um Waren herstellen zu lassen und durch deren Verkauf mehr Geld zu machen. Letzteres macht er dann durch weiteres Anlegen zu noch mehr Geld, und so weiter.

Geld spielt dabei nach wie vor die Rolle, den Dingen einen Tauschwert zu verpassen. Der Tauschwert entspricht NICHT dem Gebrauchswert. Er liegt bei den Waren im Eigentum von Kapitalisten höher, weil davon ein Teil Profit für den Eigentümer der Produktionsmittel und der Geldverleiher abfallen muss. Bei der Ware Arbeitskraft ist es umgekehrt. Der zum Verkauf seiner Arbeitskraft Gezwungene erhält einen geringeren Lohn, als er Wert durch seine Arbeitskraft erbringt.

Die Bemessung des Tauschwerts aller natürlichen und produzierten Dinge mittels des inzwischen zu Buchgeld abstrahierten Tauschäquivalents „Geld“ ist, wie das diesem wiederum immanente Eigentum an Produktionsmitteln und der daraus hervorgehenden Güter, die Grundlage des Tauschhandels, also der Marktwirtschaft. Alle Dinge, die dem Tauschhandel unterworfen sind, werden zu WAREN, wie auch die Arbeitskraft gegen Lohn eine Ware geworden ist. Waren sind untrennbar mit Eigentum zum Zwecke des Tauschens von Eigentum verbunden. Arbeitskraft gegen Lohn, Butter gegen Bezahlung des Tauschwerts.

Wie Marx schon sagte, besitzt der ansonsten eigentumslose Lohnarbeiter einzig die Ware Arbeitskraft. Sie ist allerdings die einzige Ware, die unterhalb ihres Gebrauchswerts gehandelt wird, gehandelt werden muss, um Profit für den Kapitalisten abzuwerfen. Dies ist der Ausdruck der Unterdrückung.

Übrigens waren die Dinge, die der Mensch zur Stillung seiner Grundbedürfnisse braucht, wie essen, wohnen, Holz zum Heizen etc, die letzten Güter, welche die Herrschenden dem Markt unterwerfen konnten, und dies nur gegen enorme Gegenwehr und durch brutalste Gewalt.

Die Bemessung des Tauschwerts eines jeden Produkts, jeder natürlichen Ressource und jeder Dienstleistung – unabhängig vom Gebrauchswert – hat einen nahezu wahnhaften, religiösen Charakter angenommen, der unser aller Leben bestimmt. Wir benötigen Geld in bestimmten Mengen, also abstrakte Gutschriften auf virtuellen Konten, um uns auch nur das Notwendigste zum Überleben zu beschaffen.

Insofern kann man sagen, dass die besitzende Klasse die planetare Gesellschaft mittels des erschaffenen abstrakten Bewertungsmaßstabes namens Geldsystem auch ideologisch so unter ihre Knute zwingen konnte, dass sie sich den enormen Aufwand einer permanenten gewaltsamen Unterdrückung sparen kann. Da die Kapitalisten im fortgeschrittenen technisierten und digitalisierten Kapitalismus zunehmend den Geist der unterdrückten Klasse in Form der Ware Lohnarbeit einkaufen müssen, ist dies auch notwendig.

Insofern erscheint die Fixierung vieler Unzufriedener auf das abstrakte Geldsystem als marktimmanentes Bewertungssystem als logisch. Immerhin sind diese Bewertungsmaßstäbe nicht nur notwendige Grundlage einer Marktwirtschaft. Sie fixieren die Eigentums- und damit verbundene Macht- und Unterdrückungsverhältnisse eben ideell bis in die Grundfeste unseres Denkens. Sie zwingen jedes dem Markt unterworfene Individuum – und das sind ALLE –, in diesen Bewertungskategorien zu denken.

Heißt: Jeder arme Schlucker muss mit diesen künstlichen Bewertungskategorien rechnen, muss also denken: Welcher Tauschwert wird gerade dem Brot, der Milch zugemessen (Wie viel kostet es also auf dem Markt?)? Kann ich mir das leisten, habe ich genug dafür von meiner Ware Arbeitskraft verkauft?

Innerhalb des globalen Marktes geht es NICHT darum, für die Versorgung der Menschheit zu produzieren, sondern darum, die Preise zum Zwecke der Profitmaximierung möglichst hoch zu halten. Künstliche Verknappung von Bedarfsgütern mit Warencharakter – bei wachsender Massenproduktion! - ist die Strategie dafür. So wird die Konkurrenz – oben um Marktanteile, Ressourcen und Profite, unten um Arbeitsplätze – auch um notwendigste Dinge künstlich erhalten, auch wenn sie, objektiv, nicht mehr notwendig wäre. Um diese archaische Konkurrenz zu erhalten, landen Unmengen frisch produzierter Güter im Müll – Tendenz steigend.

Die Warenpreise sind Ausdruck des mittels eines inzwischen virtualisierten Geld-Bewertungs-Systems immer wieder neu festgesetzten Tauschwertes. Der wird, im genauen Gegensatz zum Tauschwert für Arbeitskraft, weit über dem Gebrauchswert beziffert. Der im System gefangene Lohnarbeiter kennt aber in der Regel keine Unterscheidung zwischen Tausch- und Gebrauchswert. Er denkt nicht in diesen Kategorien, setzt also den Tauschwert mit dem Gebrauchswert fälschlicher Weise gleich.

So gewinnt das abstrakte Geld-Bewertungs-System den Status eines alles bewertenden übergeordneten Gottes, dem sich alle vollständig zu unterwerfen haben. Der Angstfaktor ist hier nicht die Hölle, sondern die schlichte und nackte Angst vor dem Tod durch Ausgrenzung von lebenswichtigen materiellen Bedürfnissen.

So erhält das virtualisierte Geld-Bewertungs-System den Charakter eines alles durchdringenden Geistes, der unser gesamtes Leben bestimmt und über Leben und Tod entscheidet, und zwar, in letzter Konsequenz, ganz konkret materiell. Nicht mehr vorrangig Kämpfe mit Waffen entscheiden also über Leben und Tod, sondern dieser abstrakte bewertende „Gott“, der zudem emotionale Bewertungsmuster einbezieht. Beispielsweise definiert dieser „Gott“ scheinbar selbstherrlich Begriffe wie „leistungsbereit“, „erfolgreich“, „faul“, „nützlich“ und somit die Kategorien „gut“ und „böse“ völlig neu und unabhängig jeder Ratio.

Kurzum: Das Geldsystem fixiert uns vor allem emotional und mental, aber nur scheinbar rational darauf, uns dem Markt zu unterwerfen. Es hat die Stellung eines übergeordneten Gottes.

Man könnte also sagen:

Ihre auf realem Eigentum an Produktionsmitteln basierende Herrschaft setzt die besitzende Klasse zwar nach wie vor letztlich mit Waffengewalt durch. Das allem zugrunde liegenden Bewertungssystems zum Zwecke des – profitablen – Tausches, das allem einen Warencharakter verleiht, ist dabei jedoch DAS ideelle Mittel zur Durchsetzung auch der ideologischen und emotionalen Bindung an den Markt. Das Geldsystem als Bewertungsinstrument fungiert also wie der Gott in einer Religion namens „Markt“.

Zurück zur Nahrungskonkurrenz. Diese bestünde, wirklich rational gesehen, in der heutigen menschlichen Gesellschaft längst nicht mehr, da genug für alle selbst mit weitgehend ökologischen Mitten produziert werden kann. Doch diese Nahrungskonkurrenz wird künstlich aufrechterhalten, nicht nur durch Verknappung, sondern ideologisch, unter anderem mit dem Geld-Bewertungs-System. Letzteres liegt also nicht nur zwingend dem Tauschhandel zugrunde, es sorgt auch für ideelle Festigung der Marktreligion

Der nur abstrakt begreifbare Markt, der tatsächlich die Eigentumsverhältnisse zementiert, mit all seinen Kämpfen um Maximalprofit und seinen Kriegen um Ressourcen und Marktanteile erscheint dabei letztlich wie ein bis in den religiösen Wahnsinn gesteigertes Festhalten an der archaischen Konkurrenz um Nahrungs- und Lebensgrundlagen.

Und zu jedem religiösen Wahn gehört nun einmal ein bewertender Gott. Sich von Göttern und religiösen Glaubenslehren zu befreien, war schon immer das Schwerste für den menschlichen Geist. Als unmöglich erscheint dies fast, wenn man bedenkt, dass hier tatsächlich materielle Grundbedürfnisse daran hängen, und das ein Gott, der derartiges vermag, letztlich selbst lebendig erscheint. Hört man den Staats-“Ökonomen“ zu, ist zu erkennen, dass diese den gesamten Markt, bzw. „die Märkte“, ständig wie ein lebendiges Wesen beschreiben." (S. B.)