Thema: [RL] 20 Jahre Völkermord in RuandaNeuer Beitrag
Von: Nuit Le Petit Prince 14.06.2015 19:51 Uhr
03.04.2014

Zum Völkermord in Ruanda vor 20 Jahren

Die LPP erinnert an den Völkermord in Ruanda, der vor genau 20 Jahren im April 1994 begann und in ca. 100 Tagen mindestens 800.000 Menschenleben forderte. Es ist nicht nur ein Beispiel, zu welchen Grausamkeiten Menschen fähig sein können. Es ist auch eine Geschichte über das Versagen der internationalen Staatengemeinschaft.

Was unterscheidet einen Hutu von einem Tutsi? Wer Hutu und Tutsi ist, wurde in (vor-)kolonialer Zeit durch die soziale Stellung definiert. Hutu waren die ärmeren Ackerbauern, Tutsi die reicheren Viehbesitzer. Die Tutsi, welche die Minderheit der ruandischen Bevölkerung darstellten, genossen gegenüber den Hutu in der deutschen und belgischen Kolonialzeit Privilegien. Sie galten als "überlegene Rasse". Die Zugehörigkeit wurde schließlich auch in die Pässe eingetragen. Wiederholt kam es zu Gewalttaten zwischen den Bevölkerungsgruppen. Die Unabhängigkeit Ruandas 1962, durch die die Hutu die Macht im Land übernahmen, verstärkte diesen Konflikt nur noch. Es kam zu staatlich geförderten Verfolgungen der Tutsi. Anfang der 90er Jahre lebten ca. 600.000 Tutsi als Flüchtlinge in den Nachbarländern. Eine Tutsi-Rebellenarmee, die RPF, formierte sich insbesondere in Uganda und unternahm immer wieder Angriffe auf Ruanda. Unter dem Druck zunehmender Erfolge der RPF kam es 1993 zum Friedensvertrag von Arusha (Tansania), der den Waffenstillstand unter UN-Beobachtung besiegelte und Tutsi in die Regierung einbinden sollte. Radikale Hutu lehnten dies ab und schürten im Land Hass sowie die Angst vor den Tutsi. Listen von Tutsi und moderaten Hutu waren im Umlauf. Waffenlager, vorwiegend mit Äxten, Keulen und Macheten gefüllt, wurden aufgebaut. Es gab genügend Anzeichen für einen bevorstehenden Völkermord. Es bedurfte nur noch eines Anlasses. Vor Ort stationierte UN-Truppen durften diesen Anzeichen jedoch nicht nachgehen.

Am 6. April 1994 wurde das Flugzeug des damaligen ruandischen Präsidenten Juvenal Habyarimana, ein Hutu, beim Landeanflug auf die Hauptstadt Kigali abgeschossen. Mitglieder der radikalen Hutu-Miliz nahmen dieses Ereignis zum Anlass, mit der Jagd auf Tutsi zu beginnen, welcher sich schnell viele in der Bevölkerung anschlossen. Was folgte, war ein Genozid, den es so noch nie gab: Niemals zuvor fielen in solch kurzer Zeit so viele Menschen einem Völkermord zum Opfer. Innerhalb von ca. drei Monaten wurden mindestens 800.000 Menschen getötet, also im Schnitt 8.000 pro Tag. Hutu-Nachbarn brachten Tutsi-Nachbarn um. Hutu-Arbeitskollegen brachten Tutsi-Arbeitskollegen um. Hutu-Jugendliche brachten Tutsi-Jugendliche um, es gab eine große Zahl jugendliche Täter. Auch moderate Hutu und Angehörige der Twa, einer weiteren ruandischen Ethnie, wurden ermordet. Zweidrittel der Tutsi-Bevölkerung Ruandas kam ums Leben. Mindestens 250.000 Frauen und Mädchen wurden vergewaltigt, die HIV-Rate unter diesen Opfern ist hoch und sie werden gesellschaftlich häufig geächtet.
Ruanda wies eine hohe Analphabetenquote auf. Eine besondere Rolle übernahm darum der Radiosender RTLM, welcher maßgeblich an der Propaganda und Koordinierung des Völkermordes beteiligt war. "Tod! Tod! Die Gräben sind erst zur Hälfte mit den Leichen der Tutsi gefüllt. Beeilt Euch, sie ganz aufzufüllen!" lautete der mehrmals täglich verbreitete Aufruf von RTLM. Die Tutsi wurden als "Inyenzi" (Kakerlaken) bezeichnet, "große Bäume" und "Buschwerk", welche gefällt werden müssten. Deren "junge Triebe" (gemeint waren Kinder) sollten nicht geschont werden. Selbst Kirchen, Klöster und Schulen boten keinen Schutz.

Was unternahm die internationale Staatengemeinschaft? Sie evakuierte zwischen dem 8. und 14. April ca. 4.000 Ausländer. Und sonst? Nichts! Zwischenstaatliche Organisationen und Regierungen vermieden es lange, von einem Völkermord zu sprechen, damit die internationale Gemeinschaft nicht verpflichtet war, gemäß der Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes eingreifen zu müssen. Roméo Dallaire, Kommandant der 2.500 Mann starken UN-Friedenstruppe in Ruanda, erhielt die Weisung, bewaffnete Auseinandersetzungen zu vermeiden und sich nicht in den Konflikt einzumischen. Das Mandat umfasste lediglich eine Friedensmission, nicht jedoch die Erzwingung von Frieden. Ruanda hatte damals einen nichtständigen Sitz im Weltsicherheitsrat inne und war entsprechend mit der Stimmung in den UN-Gremien vertraut. Nachdem zehn UN-Blauhelme ums Leben kamen, zogen große Teile der Soldaten ab, es verblieben ca. 500 in Ruanda. Menschen, die sich zuvor in der Obhut der UN-Truppen befanden, fielen somit schutzlos ihren Mördern in die Hände. Nach Ansicht von Experten hätte bei einer konsequenten Intervention die ursprüngliche Anzahl UN-Blauhelme ausgereicht, um den Völkermord zu verhindern. Erst am 17. Mai entschlossen sich die Vereinten Nationen zu einem Aufstocken des Blauhelm-Kontingents im Rahmen eines robusteren Mandats. Zu diesem Zeitpunkt kamen bereits hunderttausende Menschen ums Leben. Die Aufstockung des Kontingents kam bis zum Ende des Völkermordes jedoch nicht zustande. Am 22. Juni erhielt Frankreich schließlich ein Mandat für eine humanitäre Intervention zur Schaffung eines sicheren Flüchtlingskorridors. Jenes Frankreich, welches als enger Verbündeter der Hutu-Regierung galt und das ruandische Militär ausbildete und ausrüstete. In der Folge gelang über diesen Korridor auch für den Völkermord verantwortlichen Personen die Flucht. Schließlich beendete nicht die internationale Staatengemeinschaft das Morden, sondern 100 Tage nach Beginn des Völkermordes die Tutsi-Rebellen der RPF mit ihrem Einmarsch in Kigali. Daraufhin flohen viele Hutu nach Tansania und das heutige Kongo.

Zur Aufarbeitung des Völkermordes wurde in Arusha der Internationale Strafgerichtshof für Ruanda ins Leben gerufen, welcher v.a. die Verantwortung auf hoher politischer und gesellschaftlicher Ebene verhandelt. Tätern aus dem einfachen Volk wurde vielfach vor den sogenannten Gacaca-Gerichten der Prozess gemacht. Gacaca ist ein traditionelles ruandisches Rechtssystem auf Dorfebene, welches als wichtigstes Ziel die Versöhnung und Harmonie formuliert.

Agathe Habyarimana, die Witwe des getöteten Präsidenten, lebt relativ unbehelligt in Frankreich. Ihrer Familie wird eine entscheidende Rolle beim Genozid vorgeworfen. Der damalige RPF-Anführer Paul Kagame ist heute Präsident Ruandas. Der UNHCHR wirft dem aktuellen ruandischen Regime vor, im Kongo Menschenrechtsverletzungen gegen Hutu zumindest zu unterstützen. Dallaire, der zur Untätigkeit verdammte UN-Kommandeur, unternahm zwei Suizidversuche. Kofi Annan war während des Völkermords für UN-Auslandseinsätze verantwortlich. In dieser Funktion wies er Dallaire an, die Waffenlager der Hutu trotz Anzeichen für einen bevorstehenden Völkermord nicht auszuheben. Laut eines Artikels der NY Times leitete Annan Berichte über die Situation in Ruanda nicht an den Weltsicherheitsrat weiter. Annan wurde 1997 UN-Generalsekretär und 2001 mit dem Friedensnobelpreis geehrt. Trotz Versöhnungsbestrebungen, die im Endeffekt zu erheblichen Einschränkungen der Menschenrechte, Meinungs- und Pressefreiheit führen, bestehen tiefe Gräben zwischen Tutsi und Hutu. Ebenso zwischen Tutsi, die den Völkermord überlebten, und jenen Tutsi, die damals Flüchtlinge waren. Die Twa sind gesellschaftlich weitgehend isoliert.

Einer französischen Untersuchung zufolge wurde die Rakete, die die Präsidentenmaschi-
ne traf, von einem Militärcamp der Regierungstruppen Habyarimanas aus abgeschossen...

foofighter
Für die LPP