Thema: Notizen zum RadetzkymarschNeuer Beitrag
Von: ratio legis (148 Nowy Port) Das Volk 07.02.2021 21:31 Uhr
Notizen zum "Radetzkymarsch"
Der Prozess des Niedergangs erzählt stets mehr als das Ende – allen voran, wenn das Ende schleichend kommt, ihm also ein sehr langer, vielleicht mühsamer und mitunter qualvoller Prozess vorausgeht. Auf diese kurze Formel lässt sich denn auch das herunterbrechen, was Joseph Roth in seinem „Radetzkymarsch“ erzählt: Den schnellen und zufälligen Aufstieg der in den Adelsstand erhobenen Familie von Trotta, die dann über drei Generationen Stück für Stück untergeht. Mit dieser Familie geht auch die k.u.k.-Monarchie ganz langsam und für die Menschen, die diese Entwicklung durchlaufen, kaum spürbar unter. Roth verwebt die letzten Jahre der zunehmend maroden Monarchie mit dem Schicksal dieser einen Familie und verwebt die Geschichte von Krone und Familie mit der Person des Kaisers Franz Joseph: Ausgangspunkt ist die Rettung des jungen Kaisers in der Schlacht von Solferino – nur deshalb wird aus dem einfachen Trotta ein von Trotta, diese drei Buchstaben, die in der zutiefst undurchlässigen österreichischen Gesellschaft jener Zeit den Aufstieg in höhere Schichten bedeuten. Während der Abkömmling von Trottas als Bezirkshauptmann viele Jahre seines Lebens in den strengen Gebräuchen des kaiserlichen Österreichs aufblüht, wird sein Sohn und eigentlicher Protagonist des Buchs Carl Soldat – ein wenig begabter und couragierter wohlgemerkt, der, vom Unglück verfolgt an die Grenze des Landes versetzt wird und dort endgültig seinem Schicksal erliegt. Und auch wenn man als Leser fast sicher erahnen kann, dass irgendwann die Schüsse auf Franz Ferdinand eine bedeutende Rolle spielen werden und auch zum Symbolbild für das Ende der von Trottas werden – Roth erzählt diese Geschichte so wortreich, melancholisch, von einer aus heutiger Sicht merkwürdigen Sehnsucht getragen, dass man dieses Buch dennoch nicht bei Seite legen kann. Man ahnt früh: Hier wird alles schiefgehen, was schiefgehen kann. Und doch möchte man wissen, wie genau das passiert. Dieser Roman ist dabei keineswegs frei von Ambivalenz: Denn Roth beschreibt mit vielen Worten die bleierne Schwere der österreichischen Monarchie, verklärt ihre Existenz dennoch als positiv. Diese Widersprüchlichkeit als Ausdruck seines persönlichen Wandels vom Sozialisten zum österreichischen Monarchisten zu interpretieren, bereitet keine Schwierigkeiten – und vielleicht ist dieses Buch deshalb auch eine interessante Fallstudie über das bekannte Phänomen, Vergangenes in den buntesten Farben malen zu müssen, selbst wenn die Wahrheit doch recht grau war.

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